"Fern im Süd, das schöne Spanien"

Gregers Nissen, Fern im Süd, das schöne Spanien. Eine Frühlings-Wanderfahrt durch Andalusien, Berlin: Bund Deutscher Radfahrer, [ca. 1922], (Bücherei deutscher Radfahrer).

Von Lars Amenda

„Sturm, Schnee, Graupeln und Regen – Hamburger Wetter. Das sind unangenehme Tage und Wochen, wenn bei uns der Winter mit dem Frühling um die Herrschaft ringt. Man schimpft und wettert über die Launen von März und April, über Husten und Schnupfen und darüber, daß man nicht dort sein kann, wo im Süden schon längst die Mandelbäume blühen und man sich Tag für Tag die Sonnenstrahlen in den Hals scheinen lassen könnte.“ (S. 3) Mit diesen poetischen Worten beginnt Gregers Nissen seinen Reisebericht über die von ihm durchgeführte fünfwöchige Radwanderung in Andalusien im Frühjahr 1921 oder 1922 – (aufgrund fehlender Angaben im Text und des unbekannten Erscheinungsdatums des Buches bleibt dies unklar). Nissen benannte seine „Fern im Süd“-Frühlingsfahrt nach dem 1834 – in Lübeck – getexteten Volkslied von Emanuel Geibel und weckt damit beim Leser Assoziationen von „Sonne“ und „Süden“, die so stark mit dem eingangs erwähnten Hamburger (Shiet-)Wetter kontrastieren.

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Gregers Nissen (rechts) mit seinen Begleitern nach der Ankunft in Malaga (1921/22)

Nissens Reisebericht ist eine Momentaufnahme der Kultur und Natur Südspaniens, eines Landes, das für die deutsche Touristen in der Nachkriegszeit des Ersten Weltkrieges eine „terra incognita“ darstelle. (S. 3) Folglich schreibt Gregers Nissen auch mit einem pionierhaften Unterton über seine, oder genauer, die gemeinsamen Erlebnissen, denn er unternahm die Reise mit zwei Kollegen aus der Bundesführung des Bundes Deutscher Radfahrer, Görland aus Hamburg und Block aus Kiel. Zusammen stachen sie mit dem Dampfschiff „Usambara“ der Woermann-Linie am 24. März in See und fuhren in Richtung Süden auf, mit Aufenthalten in den Häfen von Antwerpen, Southhampton und Tanger, welche die drei für ausgiebige Erkundungstouren, insbesondere in der nordafrikanischen Stadt nutzten.

Die Schiffspassage endete in Malaga, wo die Reise durchs südliche Spanien begann. Allerdings bestiegen die Norddeutschen nicht sofort ihre Räder, sondern tauchten erst einmal in die fremde Kultur und reiche Geschichte vor Ort ein. Ein geplanter „Autoausflug“ nach Granada zur Alhambra, der weltberühmten und imposanten mittelalterlichen Befestigungsanlage, musste aufgrund schlechten Wetters ausfallen, wie es denn während der gesamten Reise immer wieder einmal regnen sollte. Die drei waren aber auch keine Kostverächter und genossen den spanischen Wein – „Malaga-Wein!“ (S. 12) – und ebenfalls das eine oder andere Bier: „In allen großen Städten Spaniens gibt es gute deutsche Bierstuben mit deutschen Speisen und guten Münchener Bier; allerdings in Spanien von deutschen Braumeistern gebraut.“ (S. 12)

Rad gefahren wurde aber selbstverständlich auch. In zwei Tagen fuhren der langjährige ABC-Vorsitzende und seine Begleiter von Malaga nach Gibraltar, wobei der erfahrene Radfahrer Nissen gleich am ersten Tag aus Unachtsamkeit stürzte, die Reise aber glücklicherweise fortsetzen konnte. Die Schönheit der Natur und Vegetation fasziniert Nissen in ihrer Fremdheit: „Von den Bäumen der Gärten und auf den Feldern, die von gewaltigen Agaven- und Kaktushecken eingefaßt sind, glänzen golden die reifen Orangen und Zitronen. Schöner aber ist die wunderbare Feldblumenpracht. Oftmals steigen wir von den Rädern und werfen uns hinein in diese verschwenderische Blütenfülle der Natur und schauen hinaus auf das endlose Meer.“ (S. 16)

Weiter ging es über Algeciras, Tarifa, Cadiz, Jerez und Sevilla. Letztere Stadt portraitiert Nissen besonders detailliert und lässt sie somit als Höhepunkt der Reise wirken. „Sevilla! Wessen Herz schlägt nicht höher bei dem Klange dieses Namens.“ (S. 26) Ausführlich besichtigt Nissen die Kathedrale samt des Wahrzeichens Sevillas, der „Giralda“, dem Minarett der früheren Hauptmoschee an gleicher Stelle, welche nach der Requonquista in die christliche Kathedrale integriert wurde. Begeistert ist Nissen von der Farbenpracht des Alcazars, des früheren Königspalastes, und seines prachtvollen Gartens.

Die Route führte weiter nach Cordoba, dessen kunstvoll gestaltete Moschee Nissen ehrfurchtsvoll beschreibt. Zum Abschluss der Reise war es den Reisenden dann schließlich doch noch vergönnt, die Alhalmbra zu besichtigen, die ebenfalls ausführlich vorstellt wird („Im Banne der Alhambra“, S. 38-41). Über Motril fuhren die drei Radwanderer weiter, nicht ohne „ein unheimliches Unwetter“ hautnah zu erleben (S. 42), zurück nach Malaga, wo sie sich am 1. Mai einschifften und nach Deutschland zurückkehrten.

Nissens Text über seine „Frühlings-Wanderfahrt“ ist eigentlich mehr Reisebericht und Reiseführer als Radreisebericht. Erlebnisse auf dem Rad tauchen zwar durchgängig auf, sind aber angesichts der Beschreibung der Städte und ihrer Architektur fast Beiwerk. Nissen ist sichtlich angetan von der reichen Kultur Südspaniens, in dessen steinernen Zeugnissen islamische und christliche Einflüsse nebeneinander stehen. Nissens bürgerliche Sichtweise wird nicht nur in seiner Wertschätzung von Geschichte und (Hoch)-Kultur deutlich, sondern auch in einigen abwertenden Bemerkungen, beispielsweise über die „Zigeuner“, die seiner Meinung eine „Landplage“ darstellten. (S. 6) Der begeisterte Radwanderer Nissen notiert auch Begegnungen mit anderen deutschen Touristen, die nicht auf seine Art reisten und lebten. Diese „Weltenbummler“, wie er sie ein wenig abfällig nennt, erscheinen bei ihm in einem ungünstigen Licht. (S. 32-34) Für Nissen sind viele von ihnen, wenn auch nicht alle, „Bettler“, die nicht „zur Hebung des Deutschtums im Ausland“ beitrügen (S. 34). „Leider“, und dies schmerzt ihn offensichtlich am meisten, „waren auch solche Deutsche darunter, welche den schönen Rad- und selbst Motorrad-Wandersport in Mißkredit brachten.“ (S. 32) Nissen kann und will alternative Reisearten bei begrenzten finanziellem Budget nicht tolerieren und schlägt als Gegenmaßnahme vor, die Reisenden mit sehr geringen finanziellen MItteln „überall als lästige Ausländer abzuschieben“. (S. 34) Die bürgerliche Prägung trennte ihn in seiner Selbst-Wahrnehmung fundamental von den „Weltenbummlern“. Offensichtlich existierte in Andalusien zu jener Zeit demnach aber auch ein – wenn auch begrenzter – Radtourismus. Zu dessen Hebung wollte Gregers Nissen jedenfalls direkt beitragen und in seiner tiefen Begeisterung für das Radwandern plädiert er mit seinem Andalusien-Bericht für einen Radreise-Internationalismus. Die Eindrücke der Reise waren für Gregers Nissen jedenfalls sehr intensiv, oder wie er im Schlusssatz formuliert. „Eine schöne Reise lag wieder einmal hinter uns. Die Erinnerung an diese Frühlingsfahrt durch Andalusien wird aber dauernd in uns haften bleiben.“ (S. 45)

Hamburg, 21. April 2014 / Lars