Mit dem Rad durch Nordafrika (1932)

Rolf Italiaander, Mit dem Rad durch Nordafrika. Erlebnisse eines Neunzehnjährigen, Reutlingen: Enßlin & Laiblin, 1938 (Bunte Bücher, hrsg. von der Freien Lehrervereinigung für Kunstpflege in Berlin, Bd. 262)

Von Lars Amenda

Der in Leipzig geborene Niederländer Rolf Italiaander (1913-1991) machte als junger Student im Sommer 1932 eine zweimonatige Fahrradtour durch Nordafrika, über die er in dem hier vorgestellten Büchlein berichtet. Italiaander sollte später Schriftsteller und Afrikareisender werden; die frühe Radreise durch Nordafrika bestärkte ihn ganz offensichtlich bezüglich seiner Interessen und seinem weiteren Werdegang. (Das von mir über Fernleihe bezogene, sehr ramponierte und leider mit einem Kopier- und Fotografieverbot versehene Exemplar gehörte während der NS-Zeit zum Bestand der „Reichsschrifttumsstelle der Hitler-Jugend“ und ihrer „Reichsjugendbücherei Berlin“. Dem äußeren Erscheinungsbild scheint es durch viele Hände gewandert zu sein und viele jugendliche Fantasien beflügelt zu haben).

Rolf Italiaander schreibt vor allem für jugendliche Leser und den gesamten Text durchzieht ein jugendlicher, jungenhafter Drang, die heimatlichen Gefilde zu verlassen und die Welt zu entdecken. Wenn wir ihm glauben dürfen, so hatte er die Idee einer Radreise durch Nordafrika ganz spontan und wollte damit seinem Freund Konstantin imponieren, der von ihm als Draufgänger und guter Boxer charakterisiert wird. Italiaanders Eltern gefiel die Idee hingegen weniger gut („Mein Vater tobte.“ S. 4), doch setzte er sich durch und packte nach vorbereitender Lektüre von landeskundlichen Büchern über Afrika am ersten vorlesungsfreien Tag im Sommer 1932 seinen „Affen“, wie er sein Fahrrad nennt. (S. 4)

Von Leipzig radelte er nach Bremen, wo er mit dem Lloyddampfer „Sierra Cordoba“ in See stach; über Villagarcia in Nordspanien, Lissabon, Malaga ging die Reise nach Algier. Italiaander schildert, wie viele andere vor und nach ihm, die Schiffspassage als Auftakt und mentale Vorbereitungsphase der anschließenden Radreise, da er in den angelaufenen Häfen Erkundigungstouren unternahm und hier manche Sehenswürdigkeit entdeckte.

Nach einigen Schwierigkeiten mit dem Zoll in Algier konnte seine Radreise beginnen. Er unterstreicht von Anfang an den fremden Charakter des afrikanischen Kontinents: „Dieser Erdteil ist wirklich so ganz anders als Europa. Und zumal für einen blutjungen Kerl, wie ich es damals war, ist doch Afrika eine Art Wirklichkeit gewordenes Märchenland.“ (S. 7) Er kaufte sich „schnell“ einen Tropenhelm, mit dem er sich nicht nur vor der Sonne schützte, sondern mit dem er sich – wie vor ihm schon der erste Weltradreisende Thomas Stevens – als europäischer Reisender und „Entdecker“ zu erkennen gibt. (S. 9) (Der Tropenhelm als „koloniales Zeichen“ wäre einmal einige Überlegungen wert, falls nicht schon irgendjemand darüber einmal sinniert haben sollte).

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                                     Rolf Italiiaander in Nordafrika

Rolf Italiaanders Radreisebericht ist sehr aufschlussreich, weil er sowohl über die Erfahrung der Fremde und Schwierigkeiten der Kommunikation, aber auch über die vielen positiven Erlebnisse unterwegs berichtet. So betont er die große Gastfreundschaft der Araber, die aber auch ihre Kehrseite für ihn gehabt habe: „Ja, manchmal hatte ich sogar zuviel Freunde. Und Freundschaft ist oftmals sehr anstrengend.“ (S. 11) Er porträtiert die Menschen, die Natur, die Hitze, die wolhtuenden Oasen (wie Biskra in der Nordsahara, dem südlichsten Punkt seiner Tour) auf seinem Weg von Algier nach Tunis. Viele interessante Details gibt Italiaander preis: Niemand konnte ihm beispielsweise im Vorfeld eine Auskunft über die Qualität der Straßen in Nordafrika geben; vor Ort erwiesen sich diese dann für ihn überraschend als recht gut. Er gab insgesamt 400 Reichsmark aus und nächtigte in den Städten meist in günstigen Gasthäusern, auf dem Land hingegen in der Regel unter freien Himmel in seiner Zeltplane. (S. 10)

Italiaander lässt in seinem Bericht immer wieder anklingen, wie er populäre Vorstellungen des Orients während seiner Reise bestätigt sieht. Über die erste von ihm erreichte Oase, El Kantara, schreibt er: „Karl May hätte seine Freude daran gehabt. Hier sah es wirklich so aus, wie er die Oasen verschiedene Male in seinen Abenteuerromanen beschrieben hat. Halbnackte Jungen kletterten wie Affen an den Palmen hinauf, um Datteln zu pflücken. Kleine Mädchen hüteten ihre jüngeren Geschwister, kleine Kinder mit scheußlich dicken Bäuchen und glitzernden Nasenlöchern.“ (S. 19) Ausführlich charakterisiert Italiaander die völlig andere Tierwelt Nordafrikas. Während er der „Höllenmusik“ von Kamelen in Karawansereien nichts abgewinnen kann, ergötzt er sich geradezu am Anblick von Wüstenfüchsen („wirklich entzückende Tiere“). (S. 15)

Am Besten gefiel ihm die Stadt Kostantine, in der Mitte zwischen Algier und Tunis gelegen. In der in Felsen gehauenen Stadt fand er Segnungen der westlichen Moderne wie ein modernes Krankenhaus, Kino und Vertretungen von Automobil-Konzernen; hier vermischte sich für ihn also der fremde Orient und die bekannte westliche Zivilisation. Doch auch negative Erlebnisse hat er zu berichten. Einen Araber, dessen Wunde er mit Jod versorgte, zeigte sich aufgrund der Schmerzen wenig dankbar und jagte ihn fort. Unterwegs bekam er einen „Malariaanfall“ (S. 20), der ihn zwischenzeitlich stark schwächte. Bei einer Abfahrt („Bergabraserei, S. 25) versagte im Dunkeln seine Rücktrittbremse, er konnte die brenzlige Situation mit Glück jedoch meistern. Letzteres gelang ihm auch bei einer Konfrontation mit einem Einheimischen, der ihn auf offener Strecke anbrüllte und ihn, so seine Vermutung, überfallen wollte.

Mit etwas „Heimweh“ erreichte er Tunis und reiste per Schiff nach Sizilien. (S. 28) In Palermo suchte er ein Heim deutscher Schwestern auf und gründete aufgrund akuten Geldmangels mit einigen anderen deutschen „Wanderburschen“ ein „kleines Orchester“, dessen „Dirigent“ er war. (S. 29) „Wir hatten mit unserer Musik einen durchschlagenden Erfolg. Dicke Menschenmauern umstanden uns jedesmal. Jung und alt, arm und reich hörte uns zu und klatschte uns Beifall.“ (S. 29f.) Über Messina und Neapel reiste er weiter per Schiff, um einen Aufenthalt in Rom einzulegen. Hier traf er im Kolosseum „ein paar Hitlerjungen“, mit denen er zusammen durch die Campagna und über die Apenninen nach Ancona mit dem Fahrrad reiste. (S. 31) „Über Venedig, Wien, Prag und Dresden kehrte ich dann wieder nach Leipzig zurück.“ (S. 31)

Sein Freund Konstantin, der ihn vor der Ankunft bereits im Radio über die Erlebnisse seiner Nordafrika-Reise bereits hatte sprechen hören und der ihn indirekt zum waghalsigen Abenteuer angestachelt hatte, begrüßte ihn dann im Leipziger Hauptbahnhof mit einigen „Boxhiebe[n]“. (S. 32)

Rolf Italiaanders Reisebericht atmet geradezu Fernweh und Abenteuerlust und richtet sich gezielt an junge, insbesondere jungenhafte Leser. Der Text vermischt gekonnt ein lässiges Unterstatement mit gängigen, phantastischen Vorstellungen des Orients und dürfte jugendliche Leser seinerzeit schlichtweg gefesselt haben. Dies liegt am erzählerischen Talent des Verfassers, der seine Worte zwischen dokumentarischem und literarischem Charakter schweben lässt. Italiaander schreibt abschießend, und dieser Ton ist recht typisch für ihn: „Wie man inzwischen aus dem Vorstehenden erfahren hat, habe ich in Nordafrika durchaus nichts Außergewöhnliches erlebt. Trotzdem hatte diese Fahrt mich innerlich ziemlich durcheinandergebracht. Ganz überwältigt war ich von den reichen Eindrücken.“ (S. 29)

Bildnachweis: Rolf Italiaander, Mein Fahrrad und ich. Ein frohes Wanderbuch, Leipzig: Wiese, 1935, ohne Seitenzahl.

Hamburg, 5. Mai 2014 / Lars