Historische Fahrräder zu sammeln und zu fahren, ist – zumindest in unseren Kreisen – allgemein akzeptiert. Doch wie sieht es eigentlich mit früheren Trainingsmethoden aus? Hat sich einiges bewährt – oder
sind die alten Tipps allesamt veraltet? Die Leserin und der Leser
entscheide selbst. Es folgt eine Auswahl von Zitaten aus dem
„Handbuch des Bicycle-Sport“ aus dem Jahr 1885 von Victor
Silberer und George
Ernst, der wichtigsten
deutschsprachigen Veröffentlichung aus der Blütezeit des Hochrads.
Das Ziel des
Trainings. „Der Zweck des
richtig aufgefassten Training besteht darin, einen Mann zu befähigen,
mit möglichst geringer Gefahr für seinen Organismus eine grosse
Leistung zuwege zu bringen. Ein Mann, der ohne gehörige Präparation
ein ernsthaftes Rennen durchkämpft, wird sich nicht nur während
desselben sehr unbehaglich und überanstrengt fühlen, sondern sein
Körper wird längere Zeit brauchen, um wieder ins Gleichgewicht zu
kommen.“
„Der grosse Zweck
des Training besteht darin, dass jedes Atom des menschlichen
Organismus, welches dabei aufgebraucht wird, durch ein anderes, wenn
auch anders zusammengesetztes Partikelchen, ersetzt wird, das heisst,
das Fett, welches reduciert wird, soll durch eine entsprechende
Zunahme von Muskelfaser compensirt werden.“
Achtung vor dem
Exzesse. „Wenn ein Mensch
während einer Zeitdauer von vier bis sechs Wochen, oder selbst
länger, mässig, nüchtern und in jeder Beziehung enthaltsam
gelebt hat und er gibt sich dann, kaum dass das Rennen vorüber,
jeder Art von Excess hin, wie um das Versäumte möglichst schnell
nachzuholen, so ist die Reaction eine zu plötzliche, als dass der
Körper sie ungestraft ertragen könnte.“
Der Zeitraum des
Trainings. „Die Zeitdauer,
während welcher man trainieren muss, um in Condition zu kommen,
hängt hauptsächlich von der Constitution und dem Temperament ab.
Für einen stark gebauten Menschen, der dazu inclinirt, Fleisch
anzusetzen, sind zwei Monate nicht zu viel, während andererseits für
einen trockenen und mageren Mensche die Hälfte dieser Zeit genügen
kann. Wer die nöthige Zeit und Gelegenheit hat, sich ganz dem
Training zu weihen, wird am besten, wo er gesunde, kräftige Seeluft
oder gute Landluft athmet.“
Vorbereitungen. „Das Training
beginnt gewöhnlich mit einer kleinen Purgirung [=Abführung], um den
Körper innerlich zu reinigen. Es ist dies jedoch durchaus nicht
unumgänglich nothwendig, und besonders nicht dann, wenn der
Betreffende eine ziemlich gleichmässige Lebensweise geführt hat,
und wenn seine Verrichtungen ohnedem regelmässig von Statten gehen.
Sollte dies nicht der Fall sein, so werden einige milde
Rhabarber-Pillen angezeigt sein. Besonders zeitiges Aufstehen ist für
einen Mann in Training nicht zu empfehlen, ausser er war gewohnt, es
immer zu thun.“
Ernährung. „In Betreff der
Nahrung hat man sich gegenwärtig zu halten, dass der Mensch sowohl
ein Herbivore, als auch ein Carnivore sei; die passendste Diät für
ihn besteht daher in einer richtigen Combination von Fleisch und
Gemüsen. Nach dem Bade soll das Frühstück eingenommen werden,
welches aus zwei Tassen nicht zu heissen Thees nebst ein paar
Schnitten gerösteten Brodes – frisches Brod ist unter jeder
Bedingung zu vermeiden – dann aus irgend welchem kalten Fleisch,
mit Ausnahme von Kalb-, Schweine- oder überhaupt geräuchertem
Fleisch, bestehen soll. Am kräftigsten und nahrhaftesten ist
gebratenes Rind- oder Hammelfleisch, doch kann man abwechslungsweise
auch Geflügel, Wild oder Fisch nehmen. Nicht zu starker Thee ist dem
Kaffee vorzuziehen, und kann mit etwas Milch und möglichst wenig
Zucker genommen werden. […] Spinat ist das beste Gemüse, dann
kommen grüne Erbsen und Spargel, doch darf bei der Zubereitung keine
Butter verwendet werden. Gewürze, mit Ausnahme des Salzes, sind
thunlichst zu vermeiden, da dieselben Durst erzeugen und man im
Training den Magen nicht mit Flüssigkeit überschwemmen darf.“
Trinkverhalten. „Was nun die
Getränke anbelangt, so hat man sich überhaupt vor übermässigem
Genuss zu hüten und soll sich daran gewöhnen, blos bei den
Mahlzeiten zu trinken und nicht bei jeder Gelegenheit und bei der
mindesten Anwandlung von Durst ein Gläschen zu trinken.“
„Manche Trainers,
besonders in früherer Zeit, liessen ihre Pfleglinge geradezu Durst
leiden und massen ihnen das Getränke löffelweise zu; dies ist weder
nöthig, noch zuträglich und äussert dieselbe Wirkung auf den
Organismus Desjenigen, der trainiert wird, als wenn man ihm starke
Spirituosen zu trinken gäbe. Beides macht ihn fieberisch, unruhig
und raubt ihm den Schlaf. Der Mann im Training transpirirt ohnedem
stark während der Arbeit, reducirt dadurch den Wassergehalt seines
Körpers in bedeutendem Grade und muss dieser Entgang zum Theile
wieder ersetzt werden, sollen nicht ernsthafte Störungen im
Organismus vorkommen. Die Regel, der man sich also in Bezug auf das
Getränke zu unterziehen hat, lautet kurz: ‘Möglichste Enthaltung
von geistigen Getränken: Einschränkung des Quantums nach den oben
angeführten Grundsätzen und Vermeidung des Trinkens ausserhalb der
Mahlzeiten.’ Am besten dürfte sich als Getränke stark gewässerter
leichter Wein empfehlen, doch kann auch des Abends ein Glas Bier
getrunken werden; Hauptsache bleibt immer, Spirituosen thunlichst zu
vermeiden und die Menge insoferne möglichst einzuschränken, dass
eben dem Magen nur das unbedingt nothwendige Quantum zugeführt und
derselbe nicht mit Flüssigkeit überschwemmt wird.“
Schlaf. “In Bezug auf den
Schlaf ist nicht viel zu sagen; man gehe nicht nach elf Abends zu
Bette und stehe um sechs bis längstens halb acht Uhr wieder auf.
Hauptsache ist, für ein gut ventilirtes Schlafzimmer zu sorgen, denn
nichts ist schädlicher, als das Einathmen verdorbener Luft.“
Das Training selbst. „Wir kommen nun zu
einem der wichtigsten Theile des Trainings, zu Arbeit. In dem
allgemeinen Theile derselben handelt es sich darum, das überflüssige
Fett aus dem Körper zu entfernen; dies kann auf zweierlei Art
geschehen, entweder dadurch, dass man es ausschwitzt oder dass man es
herunter arbeitet.“
Vorbereitung auf
ein Rennen. „Was nun speciell
die Arbeit auf dem Bicycle betrifft, so wird man gut thun, schon vor
Beginn des eigentlichen Trainings möglichst fleissig Partien zu
fahren und dann erst, etwa 14 Tage vor dem Rennen, auf der Fahrbahn
zu trainiren, indem man nach vorausgegangenem Fahren in Mitteltempo,
kleine Concurrenzen mit anderen Fahrern anstellt, denen man Vorgaben
gibt, welche immer etwas grösser bemessen sein sollen, als man sie
wirklich leisten kann. Eine Hauptsache hiebei, sowie während des
Rennens selbst ist, dass man seine Kräfte so eintheilt, dass die
Schnelligkeit sich bis zu Ende des Rennens stetig vermehrt, während
man von Zeit zu Zeit noch kleine Spurts einfliessen lassen lässt.“
„Am Tage vor dem
Rennen macht man ganz wenig Arbeit, ebenso am Tage des Rennens
selbst, wo höchstens eine ganz kurze Fahrt angezeigt erscheint, um
die Muskeln geschmeidiger zu machen.“
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Vielleicht ist ja
der eine oder andere brauchbare Tipp dabei … Eine ausführliche
Besprechung des Buches folgt bald an dieser Stelle.
Victor
Silberer/George Ernst, Handbuch des Bicycle-Sport. Vollständiger
Reprint, hrsg. und biographischen Angaben ergänzt von Walter
Ulreich. Vorwort Hans-Erhard Lessing, Leipzig: Maxime-Verlag 2004
(Originalaufl. 1885), S. 274-290.