Fußballer und Fahrräder

Von Lars Amenda

Fußballer und Fahrräder? Das klingt heute nach einem Paradoxon, fahren doch die Stars im Fußball-Zirkus bevorzugt sündhaft teure Sportwagen, sei es mit oder ohne Führerschein. Man kann schon fast konstatieren, dass wer als Fußballer heute im Fußball-Business auffallen möchte, entweder ein Buch liest … oder mit dem Fahrrad fährt. Letzteres tat vor einiger Zeit der 2013 vom HSV geschasste österreichische Fußballprofi Paul Scharner („Scharner Paul“), wenn wir einer Boulevardzeitung Glauben schenken dürfen, und pedalierte regelmäßig auf seinem Rad mit Brezellenker von seinem Wohnort in Rahlstedt (!) in den Volkspark. Der aktuelle Kapitän des SC Freiburg, Julian Schuster, soll ebenfalls regelmäßig mit dem Rad zum Training fahren. Doch Ausnahmen bestätigen bekanntermaßen die Regel.

Beim Torjubel kennt die Fantasie von Fußballern aktuell – im schroffen Gegensatz zu früher – fast keine Grenzen. Da werden imaginäre Pfeile gen Himmel geschossen, das Wappen geküsst, Herzchen mit den Händen gebildet und vieles mehr. Eine isländische Fußballmannschaft dachte sich gar einen Fahrrad-Torjubel aus (den Interessierte hier ansehen können).

Doch kommen wir zur Geschichte. Früher war zwar nicht alles besser, einiges aber schon. Jedenfalls hatten Fußballer früher mehr Berührungspunkte mit Fahrrädern und dem Radfahren. Von den Anhängern des seit den 1920er Jahren sehr populären Fußballs, der in jenem Jahrzehnt den Radsport als Sport Nummer Eins ablöste, ganz zu schweigen, die zu Fuß, per Straßenbahn oder eben auf dem Rad zu den Stadien pilgerten. In der Pionierphase des Fußballs in Deutschland kickten die Protagonisten sogar teilweise in Radrennbahnen wie beispielsweise der SC Victoria Hamburg im Innenraum der Grindelbergbahn in den Jahren 1904-1907. Im Jahr 1907 wurde dann das Stadion Hoheluft eingeweiht und der Verein erhielt ein echtes Fußball-Stadion.

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Das Stadion Hoheluft 1920 mit der markanten Holztribüne, die ein Jahr später abbrannte. Zu sehen ist eine “Radpolodemonstration"  vor dem eigentlichen Spiel zwischen Victoria und Altona 93 (Quelle: Internationales Radsportarchiv Bad Münstereifel).

Auch das Radballspiel, das der ABC in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erfolgreich praktizierte, ist recht offensichtlich vom Fußball inspiriert. Es entstand gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Der Sage nach soll es der populäre Kunstradfahrer US-amerikanische Nic Kaufmann erfunden haben, als er auf dem Rad einen kleinen Hund „wegkickte“. Das klingt ein wenig ausgedacht, kursiert aber an einschlägigen Stellen wie in einem sehr gerne zu Rate gezogenen Internet-Lexikon. (Kaufmann vermachte übrigens, nebenbei bemerkt, dem ABC 1892 ein Portrait von sich, wie dem ABC-Jahresbericht von 1892 zu entnehmen ist).

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Radball - eine Sportart irgendwo zwischen Radfahren und Fußball. Rechts: Gerd Oberwemmer vom ABC. Ende der 1960er Jahre (Quelle unbekannt).

Seit 1911 spielte der Hamburger FC 1888, einer der drei Vorgängervereine des Hamburger Sport-Vereins, in unmittelbarer Nähe zum (wenig später geschlossenen) Velodrom an der Rothenbaumchaussee. Das Anfang der 1920er Jahre ausgebaute Rothenbaum-Stadion mit 30.000 Plätzen diente dem 1919 gegründeten HSV fortan als Heimstätte, inmitten der Stadt gelegen, ganz anders als das Volksparkstadion, das mit Gründung der Bundesliga 1963 dem Diktat des DFB zufolge die neue Spielstätte des Aushängeschilds des Hamburger Fußballs wurde.

Der eine oder andere HSV-Spieler hatte bisweilen auch mit Fahrrädern zu tun. Der schwedische HSVer Otto Carlsson (1901-1982) vertrieb etwa in den 1920er Jahren Nimbus-Fahrräder in Hamburg. Als einer der größten Spieler der Rothosen aller Zeiten gilt Rudolf „Rudi“ Noack (1913-1947). Der Harburger Arbeiter und Seemann war als unangepasst verschrieen, zudem war er tätowiert, was damals noch als ein gesellschaftliches Stigma angesehen wurde. Seinen Oberarm musste er bei Spielen deshalb immer bedeckt halten. Noack war ein begnadeter Techniker und aufgrund seines kreativen Spiels ein, wenn nicht der große Publikumsliebling am Rothenbaum. Wegen seiner Art eckte er aber immer wieder auch bei den HSV-Verantwortlichen an.

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                        Rudi Noack (Quelle: Möllers-HSV-Eck)

Besonders interessieren dürften an dieser Stelle die Umstände seines Vereinswechsels zu Beginn der 1930er Jahre: „Am Rothenbaum nahm der Arbeitslose im Juni 1932 - per Fahrrad! - mit seinem Harburger Kumpel Richard Dörfel Reißaus, um sich im ‘Goldenen Westen’ dem CfR [=Club für Rasenspiele] Köln anzuschließen.“ (Skrentny/Prüß, S. 88) Mit dem Vater des späteren HSV-Spielers Charly Dörfel pedalierte Noack also von der Elbe an den Rhein, um dort sein Glück zu versuchen. Der so talentierte Fußballer Rudi Noack starb viel zu früh 1947 in sowjetischer Kriegsgefangenschaft.

Auch bei anderen Vereinen wird es sicherlich ähnliche Anekdoten gegeben haben. Für Altona 93 konnte ich bislang leider keine entsprechende Geschichte ermitteln. In Bezug auf den FC St. Pauli ist mir bis dato ebenfalls nichts dergleichen bekannt. Aber vielleicht weiß der eine oder andere ja noch etwas über Fußballer, die Fahrrad fuhren? Falls ja, würde ich mich über Nachrichten und Kommentare freuen. (lars ÄT altonaer-bicycle-club.de).

Literatur: Norbert Carsten, Altona 93. 111 Ligajahre im Auf und Ab, Göttingen: Die Werkstatt, 2003; Werner Skrentny/Jens R. Prüß, Immer erste Klasse. Die Geschichte des Hamburger SV, Göttingen: Die Werkstatt, 2007.

Hamburg, den 19. Dezember 2014