EIN VEREIN FEIERT SICH SELBST

Das „25-jährige Stiftungs-Fest“ des Altonaer Bicycle-Clubs von 1869/80 vom 14. bis 16. April 1894

Von Lars Amenda

Feste und Feierlichkeiten bieten die willkommene Gelegenheit, sich mit Familienangehörigen oder Freunden zu treffen, gemeinsam zu essen und trinken, zu tanzen, zu reden und zu diskutieren und mit der temporären Gemeinschaft der Feiernden eine gute Zeit zu verbringen. Feste dienen aber gleichzeitig auch der Selbstdarstellung, der Repräsentation und sollen den oder die Veranstalter in einem möglichst vorteilhaften Licht erscheinen lassen. Anlässlich des 145-jährigen Bestehens des ABC möchte ich mit diesen Zeilen die Feierlichkeiten des Clubs zum 25-jährigen Jubiläum 1894 vorstellen und einordnen. Was ließ sich der Verein seinerzeit einfallen und was tischte er seinen Gästen auf, um sich selbst zu feiern und die eigene Bedeutung zu untermauern?

Nach der rückwirkenden Umbenennung in „Altonaer Bicycle-Club von 1869/80“ im Jahr 1881 erlebte der Verein einen spürbaren Aufschwung und seine Mitgliederzahlen stiegen deutlich an. Der Jahresbericht von 1892 listet bereits 88 männliche Mitglieder auf (unter ihnen viele Kaufleute, aber auch Lehrer, Fabrikanten, Weinhändler, und ein „Reisender“); 1893/94 überschritt die Mitgliederzahl dann die Marke von 100. Frauen waren zu dieser Zeit von der Mitgliedschaft ausgeschlossen, die Herren wollten lieber unter sich bleiben. Der ABC verfügte zu dieser Zeit über einen ausgezeichneten Ruf im Bürgertum und verstand sich als eine sportliche und soziale Elite. Während die Allgemeinheit die pionierhaften Vorreiter des Vereins auf ihren Velozipeden noch als weltfremde Narren erachtete, etablierte sich das Fahrrad mit dem Hochrad und schließlich dem luftbereiften „Niederrad“ Anfang der 1890er endgültig, ohne zu diesem Zeitpunkt für die Mehrheit der Bevölkerung erschwinglich zu sein.

In genau diese fahrradhistorische Situation fiel das 25-jährige Jubiläum des ABC im April 1894 und die Mitglieder wollten die Chance nicht ungenutzt verstreichen lassen, mit einem prunkvollen Fest den Nimbus des Vereins in der Öffentlichkeit zu demonstrieren und nach Möglichkeit noch weiter auszubauen. Und der ABC ließ sich einiges einfallen. Nicht weniger als drei Tage dauerte das „25-jährige Stiftungs-Fest“, auf dem die Mitglieder und die teils eingeladenen, teils zahlenden Gäste eine Menge geboten bekamen. Das Fest begann bereits am Sonnabend, den 14. April, mit einem abendlichen „Grosse[n] Fest-Commers“, einer hochoffiziellen Feier mit Festrede und gemeinsam gesungenen und teilweise extra gedichteten Liedern. Veranstaltungsort war der „Germania-Saal“, dessen Besitzer Fritz Hensler Mitglied und „Fahrwart“ im ABC war, in der Großen Freiheit Nr. 14, die damals noch zu Altona gehörte und direkt an der hamburgischen Grenze lag. Der ABC-Vorsitzende Gregers Nissen begrüßte die „äußert zahlreich von Nah und Ferne erschienenen Festtheilnehmer“. (Die genaue Zahl der Teilnehmer ist nicht bekannt, aber insgesamt dürften an den drei Festtagen etliche hundert bis mehrere tausend Menschen beteiligt gewesen sein). Neben zahlreichen Grußbotschaften anderer Rad- und Sportvereine, verschiedenen humoristischen Einlagen wurde auch das ein oder andere alkoholische Getränk konsumiert. So war in der Zeitung zu lesen: „Die Stimmung war eine sehr gehobene und das Eröffnungsfest verlief erst mit Morgengrauen in der schönsten Weise zu allseitiger Befriedigung.“

Anlässlich des „Fest-Commers“ ließ der ABC eine prunkvoll gestaltete „Commers Zeitung“ erstellen (diese werden wir in einiger Zeit hier noch einmal ausführlicher vorstellen). Darin enthalten waren zahlreiche Trinksprüche, viele Gags mit und ohne Radfahrer und mehr oder minderer deutliche Hinweise auf den gemeinschaftlichen Genuss geistiger Getränke. Zudem verteilte der ABC am ersten Festtag eine Vereinschronik an die Teilnehmer, die bis heute eine zentrale Quelle zur Clubgeschichte darstellt.

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Titel der aufwändig gestalteten “Commers Zeitung”

Am folgenden Tag, dem 15. April, fand eine Dampferfahrt nach Blankenese mit anschließendem Fußmarsch zum Süllberg statt; viele Radfahrer machten sich direkt dorthin auf den Weg. Am Nachmittag folgte ein „Grosser Preis-Corso“ und führte die beteiligten feierlich geschmückten Radfahrer – unter ihnen viele Repräsentanten auswärtiger Fahrradvereine, die dem ABC damit die Ehre erwiesen – durch die Straßen der Altonaer Altstadt, durch die Allee (Max-Brauer-Allee), Goethestraße, Poststraße, Behnstraße, Königstraße, Große Prinzenstraße, Große Mühlenstraße und die Palmaille. Der ABC präsentierte sich damit in seinem ureigenen Element, auf dem Fahrrad und in den Straßen der Altonaer Altstadt, er wies aber auch auf die nationale Bedeutung des Vereins hin, welche durch die auswärtige Unterstützung zum Ausdruck kam. Der „Corso-Ausschuss“ veröffentlichte im Vorfeld einen Aufruf in der Presse, in dem die Anwohner der entsprechenden Straßen „freundlichst“ gebeten wurden, ihre Häuser mit Flaggen und Girlanden festlich zu schmücken. Nicht nur der Umzug der Radfahrer sollte ein prächtiges Bild abgeben, sondern die Bevölkerung vor Ort sollte nach dem Willen der Verantwortlichen eingebunden werden und maßgeblich zum beeindruckenden Gesamtbild beitragen.

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Der ABC-MItbegründer Harro Feddersen in den 1880er Jahren

Vom Sammelpunkt am Bahnhof Holstenstraße setzte sich der Zug in Gang, der ein wahrhaft ungewöhnlichen Anblick bot.„Die Fahrer des Altonaer Jubiläumsclub hatten sich neue blausammtne Costüme angeschafft; die Speichen ihrer Räder waren mit farbigen Blumen geschmückt, ebenso diejenigen einzelner anderer Vereine.“ Verschiedene Wagen („Equipagen“) waren Teil des Umzuges, der Mitbegründer des Clubs Harro Feddersen saß mit seiner „Gemahlin“ in einem von vier Schimmeln gezogenen Wagen und unterstrich damit seine herausragende und gewichtige Rolle in der Vereinsgeschichte. Ein „Trompetercorps der Artillerieabtheilung“ („in prachtvollen Wallenstein-Kostümen zu Pferde“) begleitete den Umzug und sorgte für musikalische Untermalung, so darf vermutet werden. „Der Festwagen des Zuges, eine Radfahrergruppe überragt von einer Germania mit Schwert und Schild, machte durch seine reiche Decoration mit lebenden Pflanzen, Palmenwedeln, Fahnen und Standarten einen ganz besonders festlichen Eindruck und erregte die Bewunderung aller Zuschauer.“ Nationale Symbolik durfte nach dem Willen der Beteiligten folglich nicht fehlen und sollte die nationale Einstellung der Clubmitglieder verdeutlichen. An der Spitze des Zuges fuhren drei Radfahrer auf Rädern aus den Jahren 1817, 1869 und 1894, also einem Draisschen Laufrad, einem Veloziped und einem damals aktuellen Fahrrad („ein hochmodernes Stahlroß mit allen Verbesserungen der jüngsten Zeit“). Der ABC betrieb auf diese Fahrrad-„Geschichtsschreibung“ und feierte die technische Entwicklung des Fahrrades im 19. Jahrhundert, die viele ABC-Mitglieder auf ihren „Knochenschüttlern“ am eigenen Leibe erfahren hatten.

Abends folgte ein Bankett und ein Ball in den Räumlichkeiten des Bürgervereins, auf dem u. a. die Verleihung der Ehrenmitgliedschaft im ABC an Harro Feddersen und Carl Hindenburg, Vorsitzender des Deutschen Radfahrer-Bundes, verkündet wurde. Die beiden Personen waren die ersten Ehrenmitglieder des Vereins.

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Am folgenden Tag, dem 16. April, dem dritten und letzten Festtage frühstückten die Teilnehmer zusammen und machten auf einem gemieteten Dampfer eine Hafenrundfahrt, einen Spaziergang durch die Altonaer und Hamburger Innenstadt, eine Alsterfahrt und speisten zu Mittag zusammen im Uhlenhorster Fährhaus. Abends folgte ein „Gr. Gala-Radfahr-Fest“ in den Räumlichkeiten des Englischen Gartens in Altona mit dem „Auftreten der berühmtesten Kunst-, Duett- und Reigenfahrer“. Zehn ABC-Mitglieder führten einen „Banner-Reigen“ auf, bei dem diverse Figuren, u.a. ein Stern gefahren wurde. Die Reigenfahrten demonstrierten die absolute Kontrolle der Fahrer über ihre Räder und gleichzeitig eine möglichst perfekte Ordnung und Unterordnung des Einzelnen. Der „Meisterfahrer“ Gustav Marschen begeisterte zudem mit Kunststücken auf dem Hoch- und Niederrad und erhielt dafür von Gregers Nissen einen Lorbeerkranz überreicht. Auf diese Weise fand das dreitägige Fest zum 25-jährigen Jubiläum einen sportlichen Höhepunkt, der die Anwesenden den Presseberichten zufolge abermals außerordentlich begeisterte.

Das eigentliche Jubiläum fand schließlich am 17. April statt, war doch der Eimsbüttler Velocipeden-Reit-Club an diesem Tage im Jahr 1869 gegründet worden. Wie die ABC-Mitglieder diesen Tag nach dem dreitägigen Fest verbrachten, ist nicht überliefert. Vermutlich trafen sie sich im kleinen, internen Kreise, um die Ereignisse der vergangenen Tage Revue passieren zu lassen. Der ABC erreichte mit dem 25-järhrigen „Stiftungs-Fest“ jedenfalls einen unbestrittenen Höhepunkt in der Vereinsgeschichte. Der Verein demonstrierte mit den rauschenden, drei Tage währenden Feierlichkeiten seine pionierhafte und wegweisende Rolle im deutschen Radsport und im Radfahren überhaupt. Der eigenen historischen Bedeutung bewusst, betrieb man bereits ganz gezielt eine clubeigene Geschichtsschreibung. Die vielen Glückwünsche anderer Radsportvereine und die große Zahl auswärtiger Besucher untermauerten den Stellenwert des ABC vor aller Augen. Der Verein feierte sich selbst und inszenierte sich – vor dem Hintergrund des Fahrradbooms der frühen 1890er Jahre – als Vorreiter und Visionär des Fahrrads, der nun, endlich, die Anerkennung fand, die ihm nach Meinung der Mitglieder angesichts des unbeugsamen Glaubens der Gründungsväter an eine glorreiche Zukunft des Fahrrads berechtigterweise zustand.

Quellen: Altonaer Nachrichten vom 3./4., 11., 13., 15. und 16. 4.1894; Altonaer Tageblatt vom 17.4.1894; Hamburger Nachrichten vom 16. und 17.4.1894; Hamburger Fremdenblatt vom 16.4.1894; Hamburger Tageblatt vom 17.4.1894; Hamburger Freie Presse vom 17.4.1894; Commers Zeitung zum 25jährigen Jubiläum des Altonaer Bicycle Club v. 1869/80 (aeltester Bicycle Club der Welt), Altona 1894; Die Entstehung und Entwicklung des Altonaer Bicycle-Clubs von 1869/80, Altona: Altonaer Bicycle-Club von 1869/80, 1894.

Hamburg-Altona, 16. April 2014 / Lars