Mit dem Fahrrad nach Indien - vor fast fünfzig Jahren

Reflexionen und Erfahrungen eines RadlerOldtimers

Von Uwe Lanquillon

Fahrradfahren macht Freude – soviel ist klar und muss an dieser Stelle nicht besonders betont werden.  Auch ich radle  - mit Mitte/Ende Sechzig  - immer noch gern. Außer bergauf. Das ist, ehrlich gesagt, manchmal lästig. Aber alles in allem ist das Fahrrad (auch für mich) beliebt als ein gesundes Sportgerät, als Fortbewegungs- und Transportmittel für mehr oder weniger kurze Strecken, günstig zudem; und Radtouren, Radwanderungen durch Stadt und Natur haben ein gewisses Etwas.

Spannender und abenteuerreicher aber wird es, wenn jemand  - und auch noch allein – das Wagnis einer Fern- oder Weltreise mit dem Fahrrad unternimmt.

Ich bin dieses Wagnis vor nunmehr bald fünfzig Jahren eingegangen. Es war 1968. Meine damalige Radreise führte mich etliche Monate über Österreich und das damalige Jugoslawien den Balkan hinunter, über Bulgarien, die Türkei,  Iran und Pakistan bis an den indischen Subkontinent, nach Karachi.  

Davon und von einigen meiner Erfahrungen und was das in meinem Leben bewirkt hat, will ich berichten.

Radfern- oder Weltreise – warum?
Was war die Motivation für diese meine verrückte Idee, ausgerechnet mit dem Fahrrad loszufahren? Abenteuerlust? Fernweh? Interesse an fremden Ländern, Völkern und Kulturen? Sportlicher Ehrgeiz?
Im Nachhinein kann ich es kaum sagen. Wahrscheinlich war es eine Mixtur aus allem. Dennoch  kam für mich damals noch etwas Wesentliches hinzu, was wohl am ehesten als die Suche eines jungen Menschen nach sich selbst zu beschreiben ist. Ich war gerade mal einundzwanzig (damals wurde man mit einundzwanzig erst volljährig), und ich war keineswegs sicher, welchen Weg mein Leben nehmen sollte. Was lag also näher als die Ferne. Der sichere Job wurde an den Nagel gehängt - und dann ging es los.

Was diese durchaus wagnisreiche Fahrradreise für mich und mein Leben bewirkt hat – davon später mehr.

Vorbilder? Hatte ich Vorbilder, was die Reise betraf?  Ja, die gab es wohl.  Als Kind oder Jugendlicher hatte ich natürlich von fremden Ländern gelesen, weniger Karl May, dafür den Lederstrumpf, Reisebeschreibungen von A.E. Johann, Romy Schurhammer und anderen. Vor allem hatten mich die Bücher und Schulfunkberichte von Heinz Helfgen beeindruckt und gefesselt, der Anfang der Fünfziger Jahre mit dem Fahrrad um die Welt gefahren war.  Gab es diese Welt noch so, wie er von ihr berichtet hatte? Ich startete weniger als zwanzig Jahre später.

Ich will anhand einiger Erfahrungen und Erlebnisse nachvollziehen, was damals (mit mir) geschah. Vielleicht ist das für den einen oder anderen interessant oder hilfreich.

Start und äußere Umstände
Beginnen wir mit dem Naheliegenden, dem Fahrrad. Ich war schon als Nachkriegskind ein fleißiger Radfahrer gewesen, mit dem Fahrrad aufgewachsen, hatte als Jugendlicher Fahrradtouren in Deutschland und England unternommen; hinzu kamen die erwähnten Vorbilder…

Warum also nicht den Radius erweitern, dachte ich. Ich besaß ein ganz normales Tourenrad (Marke habe ich vergessen) mit Naben-Drei-Gangschaltung, relativ wenig Geld, dafür um so mehr Unternehmungsgeist und Zuversicht. Sicherheitshalber hatte ich einige Monate vorher einen Judokurs besucht (Man kann ja nie wissen! Karate war zu der Zeit noch nicht so populär!) und die Hamburger Phoenix Gummiwerke AG sponserte mich, indem sie mich mit Ersatzreifen und – schläuchen und Turnschuhen ausrüstete.   

Dann fuhr ich los, ließ Freunde und natürlich sehr besorgte Eltern hinter mir. (Welche Eltern wären das angesichts eines so verrücktes Planes nicht!); sie hießen meine Pläne nicht gerade für gut, aber als sie merkten, dass es mir Ernst war, unterstützten sie mich nach besten Kräften. Dass sie mich gewähren ließen, mich selbst auszuprobieren und meinen Weg zu finden, das rechne ich ihnen bis heute hoch an!

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                           Der (nachgestellte) Start in Hamburg-Harburg

Noch ein paar Worte dazu:

Ihre Besorgnisse und Ängste waren keineswegs unbegründet oder aus der Luft gegriffen. Ende der Sechziger Jahre war eine politisch ziemlich unruhige Zeit. Es gab den Kalten Krieg zwischen den Weltmächten, es gab den Vietnamkrieg, Krieg im Nahen Osten, es gab Unruhen und Aufstand in der zum Sowjetblock gehörenden Tschechoslowakei, den sogenannten Prager Frühling. Und in der westlichen Welt gab es  innere Unruhen,  Studentenrevolten… Grund zur Beunruhigung gab es also genug.

Dazu kommt: Man muss dazu  wissen, was es hieß, in den damaligen Sechziger Jahren in fremden Ländern als Weltenbummler unterwegs gewesen zu sein. Internet, GPS, Navigation, Skype, Facebook, Laptop oder Netbook, Handy oder Smartphone, Internet-Cafés  – all das, was wir heute weitgehend als selbstverständlich betrachten (auch unter Radtouristen) – all das gab es nicht! Post von meinen Eltern oder von Freunden?  Das ging nur über die jeweiligen Botschaften oder Konsulate in den Hauptstädten. Man war als Weltenbummler auf dem Fahrrad also ziemlich allein und auf sich gestellt - und abgeschnitten.      
Mein Plan war es gewesen, über den Balkan in die Türkei zu gelangen, und von dort aus über Syrien und den Irak weiter in den Iran (Persien)  nach Pakistan und Indien zu gelangen.

Die weltpolitische Lage bekam ich allerdings bald zu spüren.

Das erste Mal in Jugoslawien. 1968 hatte es - wie schon erwähnt - in der kommunistischen Tschechoslowakei eine politische Aufbruchbewegung gegeben, den sogenannten Prager Frühling. Er wurde mit sowjetischen Panzern niedergewalzt. Umliegende Staaten, so auch das „blockfreie“ Jugoslawien waren misstrauisch und wachsam. Ich hatte irgendwo bei Novi Marot (zwischen Varazdin und Zagreb), ohne zu wissen, dass ich nahe militärischem Sperrgebiet war, Landschaftsaufnahmen gemacht – und prompt die Militärpolizei am Hals. Als möglicher Spion verhaftet, wurde ich erst nach stundenlangen Verhören und Entwicklung meines Filmes wieder frei gelassen und konnte weiterfahren.

Als nächstes machte mir die politische Lage einen Strich durch die Rechnung, als ich in der Türkei angekommen war: Ich bekam aufgrund politischer Verhältnisse keine Visa für Syrien und den Irak.   

Syrien und Irak, heute politische Brennpunkte im wahrsten Sinne des Wortes, waren damals bereits Akteure oder Spielbälle politischer Auseinandersetzungen. Wie auch immer, ich musste meine Pläne ändern und den beschwerlicheren Weg über Anatolien nach Persien (Iran) wählen.

Abenteuer in fremden Ländern?
Eines meiner Motive für die Reise war sicher Abenteuerlust, das Erleben  fremder Länder gewesen. Nun war ich in fremden Ländern. Und Abenteuer? Die gab es ohne Frage. Kleine und große.

Allein zu reisen hat mancherlei Vorteil, wie etwa den, dass man auf niemanden Rücksicht nehmen muss. Es gibt allerdings auch Nachteile. Vor allem das Risiko, anderen ausgeliefert sein zu können, ohne dass jemand in gefährlichen oder brenzligen Situationen helfen kann. (Auch heutzutage geschieht viel, wenn man die Nachrichten verfolgt, auch Radtouristen leben mitunter gefährlich).

Es gab Situationen, die durchaus gefährlich waren. Ich glaube allerdings nicht, dass ich irgendwann einer größeren Gefahr oder gar Todesgefahr ausgesetzt war, aber dennoch: manchmal reicht auch weniger, um Schaden für Leib und Leben anzurichten.

Als möglicher Spion verhaftet, wie geschildert, klingt harmlos, aber es hätte anders enden können. Später in der Wüsteneinsamkeit Irans dunklen Gestalten ausgeliefert zu sein, war schon ein anderes Gefühl. Ich war den ganzen Tag geradelt, müde und erschöpft und hatte versucht, eines der Teehäuser zu erreichen, die am Straßenrand Unterschlupf bieten. Es muss zwischen Isfahan und Kerman gewesen sein, so genau weiß ich das nicht mehr. Endlich ein Gebäude. Ich wurde willkommen geheißen. Aber es waren unheimliche Gestalten, wild, bärtig, pockennarbig. Sie wiesen mir eine primitive Bettstelle zu, schlichen durch das Zimmer. Es fiel mir schwer, nicht einzuschlafen. Ich hatte Angst, umgriff im Schlafsack mein Messer und schlief doch irgendwann ein. Als ich mitten in der Nacht aufwachte, sah ich die Männer im Delirium um ein Feuer sitzen. Ich sprang auf… doch nichts geschah. Sie nahmen mich kaum wahr. So früh wie möglich am nächsten Morgen verließ ich diesen unheimlichen Ort.

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                           Auf dem Weg von Isfahan nach Kerman im Iran

Später, in Pakistan, kurz hinter der Grenze, auf dem Weg Richtung Quetta, radle ich durch einsame, ziemlich karge Gegend. Dennoch fühle ich mich beobachtet. Es ist seltsam, doch ich verdränge meine Angst. Plötzlich höre ich Motorengeräusche, ein Jeep rast hinter mir her. Ich gerate fast in Panik. Der Jeep überholt mich. Es sind uniformierte Soldaten oder Polizisten, die mich stoppen. Frage danach, wer ich sei, woher, wohin und so weiter. Schließlich erklärt einer der Offiziere mir, dass ich mich in einem Rebellengebiet befände. Er würde mich zur nächsten Polizeistation bringen. Also wird das Fahrrad auf den Jeep geladen und ich fahre bequem die wenigen Kilometer bis zur nächsten Provinzstadt.

Das mag heute banal klingen. Oder gefährlich. Es ist in Pakistan heute wahrscheinlich gefährlicher als damals. Wieder ein Zeichen dafür, wie sehr sich die Welt gewandelt hat. Die Rebellen oder Aufständischen von damals waren vermutlich eher Kämpfer im pakistanisch-indischen Konflikt; heute hätte man es vielleicht mit Al-Kaida oder ähnlichen Gruppen zu tun. Für mich war das also also glimpflich ausgegangen. Es hätte anders kommen können…

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                                     Das Fahrtenmesser, das mit auf Tour war

Körperschäden oder Reifenpanne – ein Albtraum
Glimpflich ausgegangen, das hofft man sich also Radtourist und besonders als Fern- oder Weltreisender besonders gesundheitlich  – und bei Pannen.

Gesundheit oder – negativ ausgedrückt – Kranksein in außereuropäischen Ländern ist ein ernst zu nehmendes Problem (auch für Radfernreisende) und bringt mich auf ein wichtiges Thema: Unfall- und Krankenversicherung. Niemand ist vor Krankheit oder Unfall gefeit.

Ich selbst bin während der monatelangen Reise – bis auf ein paar Kleinigkeiten wie Erkältung  und einmal den Verdacht auf Malaria – gesund geblieben. Dennoch: die Frage nach einer Krankenversicherung für FernRadler ist nicht von der Hand zu weisen.

Meine Eltern, die von meiner Idee, ich sagte es, keineswegs begeistert waren, hatten darauf bestanden, dass ich eine Kranken- und Unfallversicherung abschloss. Ich hatte das damals für überflüssiges „Getue“ abgetan. Inzwischen sehe ich das anders. Natürlich hatten sie recht!

Es ist mir nicht Schlimmes passiert während meiner Reise. Aber es hätte auch anders kommen können. Man kann seiner Phantasie freien Lauf lassen. Ein Sturz vom Fahrrad, ein Zusammenstoß mit einem Lastwagen – ein teures Vergnügen oder ein ruiniertes Leben. Darum kann ich heute nur jedem empfehlen, in dieser Hinsicht nicht leichtsinnig zu sein.

Auch Sachschäden können unangenehm sein. Es gibt deren viele. Reifenpannen zum Beispiel! Gut, wenn’s nur der Schlauch ist, der lässt sich womöglich flicken. Wenn der Mantel hin ist (was selten vorkommt), wird’s schon schwieriger. Aber es gibt auch weiteres wie verbogene Schutzbleche durch Stürze. Oder Rahmenbruch. Vor Letzterem bin ich verschont geblieben. Aber ganz ohne Pannen ging es natürlich nicht.

Die erste Panne erlebte ich schon in Jugoslawien: der Schlauch war nicht mehr reparabel. Wie gut, dass ich einen Ersatzschlauch dabei hatte. Aber später, im persischen (iranischen) Ghom, war auch der zweite hin. Ich hatte Glück. In der Nähe war ein Militärlager, und eine Patrouille half mir. Sie konnten zwar das Fahrrad nicht gleich reparieren, brachten mich aber in das Militärcamp in Ghom. Dort interessierte sich einer der (vermutlich) Offiziere für mich und lud mich als Gast in sein Haus ein. So durfte ich sein Familienleben teilen, mein Fahrrad wurde nicht nur mit einem neuen Schlauch versehen, sondern auch überholt, bevor ich nach einigen Tagen meine Reise fortsetzte.

Einsamkeit /Heimweh
Eine weitere Frage – manchmal vielleicht sogar ein Problem jenseits aller Abenteuerromantik – ist für den Alleinradler oder Weltenbummler die Frage der Einsamkeit, des Heimwehs. Doch, es gibt sie! Auch wenn wir uns das nicht immer eingestehen mögen. Darüber täuschen auch die Kontakte, die wir knüpfen, nicht unbedingt hinweg.

Mein Gott! – war das gut, als ich, nach tagelanger Radelei in der persischen Einsamkeit von einem Motorradfahrer überholt wurde. Ich sah nur von ungefähr sein Kennzeichen: weiß mit schwarzem MZ konnte ich erkennen. Mainz. Deutschland. Ich winkte, er bremste. Und dann stellte sich heraus, dass er auch, wie ich, Hamburger war. Er hatte noch ein Salami aus Deutschland im Gepäck, und die verspeisten wir am Straßenrand, irgendwo in der persischen Wüste. Natürlich ist man in gewisser Weise nicht einsam, wenn man irgendwo in einem Teehaus übernachtet, wenn man durch Dörfer kommt, in dem die Dorfjugend den Radler umringt, als wäre er ein Weltwunder (das war damals so!). Aber die Einsamkeit auf den weiten Strecken kann doch eine Belastung sein. Es gibt Hilfsmittel. Und obwohl ich erst später mit Meditation in Berührung kam, hatte ich damals schon intuitiv einige Techniken angewendet, die mir über Tiefpunkte hinweghalfen; wie z.B. das bewusste Atmen oder das autogene Training, mit dem ich mich schon früher beschäftigt hatte. Diese Techniken helfen ungemein, trübe Gedanken, Depressionen zu vermeiden, die in der Einsamkeit, oder beim Alleinradeln vorkommen können.

Gastfreundschaft
So wahr, wie es ist, dass  Einsamkeit zu einem Problem werden kann, so wahr ist auch, dass Gastfreundschaft in fremden Ländern vieles wieder auffangen kann. Ich habe das während dieser Reise – und auch bei Auslandsaufenthalten in meinem späteren Leben - viele Male erlebt.

Noch heute denke ich mit Freude und auch Dankbarkeit zurück an die Menschen, die mich, einen wildfremden Radler, für sie vielleicht Exoten, aufnahmen.

Die Bauern auf dem Balkan etwa, bei denen ich in Scheunen oder auch Garagen übernachten durfte, und die mich nicht ohne – wenn auch karges – Frühstück weiterziehen ließen. Oder die Studenten in Sofia, der Hauptstadt Bulgariens, die ich kennengelernt hatte, und die mich (natürlich illegal!) in ihr Studentenheim einschleusten, mir Quartier gaben und mich verpflegten. Oder die Hirten in der anatolischen Hochebene, die mich bewirteten. Auch später, im Iran oder in Pakistan, gab es spontan Bekanntschaften, Einladungen zum Tee, zur Übernachtung. Ich war manchmal überwältigt von der Gastfreundschaft, die mir entgegengebracht wurde, wie zum Beispiel im persischen Ghom anlässlich der Radpanne, die ich schon erwähnte.

Es geschah nicht selten, dass ich durch Dörfer kam und sofort von der Dorfjugend umringt war. Natürlich war ich der Exot, wurde von Dorfbewohnern zum Tee geladen. Es folgten die üblichen Fragen mit den wenigen Brocken Englisch, die sie sprachen. Aber seltsam genug: Als sie hören, dass ich aus Deutschland, Alman, komme, höre ich plötzlich andere Sprachbrocken: Krupp,  Solingen, Beckenbauer, Rommel.  Oder Hitler. Letztgenannter Name fiel verdächtig oft, was mir jedesmal ein unangenehmes Gefühl bereitete. Doch es kam einmal noch schlimmer,  später in Pakistan. Es war, soweit ich mich erinnere,  bei oder in  Quetta. Ich saß in einem der kleinen Teehäuser und war mit einem Mann ins Gespräch gekommen. Als er erfuhr, dass ich aus Alman/Deutschland war, stand er stramm auf  und grüßte lauthals mit „Heil…“. Gespenstisch. Aber nicht ungewöhnlich in jener Zeit, in jener Gegend. Und heute?

Die Gastfreundschaft war überwältigend, wohin ich auch kam. Selbst dort, wo die Menschen kaum etwas zum Leben hatten. Sie teilten mit mir.  Gelegentlich natürlich, wenn keine Bleibe zu finden war, dann war ich auch mein eigener Gastgeber, in unwirtlichen einsamen Gegenden, in denen ich  mein Zelt aufschlug. Auch das führte zu unvergleichlichen, unaussprechlichen Erfahrungen: ich allein hier unten mir der gestirnte Himmel über mir… Kein Wort kann das beschreiben…

Was bleibt?
Soviel von einigen meiner damaligen Erfahrungen und Erlebnisse.

Meine Reise war nach rund vier Monaten in Karachi zu Ende, ich hatte keine Möglichkeit mehr gesehen weiter zu reisen, vor allem wegen Geldmangels. Wie auch immer – Wochen und Monate der aufregenden, manchmal strapaziösen Reise lagen hinter mir, meist auf dem Fahrrad, manchmal auch andere Transportmittel nutzend. Zeiten der Freude, des Alleinsein, der Begegnungen, der Gastfreundschaft, der Abenteuer.

Was hat diese Reise mit mir gemacht und was ist geblieben?

Natürlich bleibt die Erinnerung. Aber sie verblasst mit der Zeit. Oder verklärt manches, machen wir uns da nichts vor!

Aus heutiger Sicht würde ich sagen, dass ich zunächst und vor allem Selbstständigkeit und Zutrauen zu mir selbst erfahren und gelernt hatte, auch Zutrauen, im Leben Wagnisse einzugehen, sie einzuschätzen.

Dann auch ganz wichtig: Offenheit, Neugier und Empathie anderen, auch fremden Menschen und Kulturen gegenüber. Beides hat mir im späteren Leben, ob auf anderen abenteuerlichen Reisen, Auslandsaufenthalten oder im beruflichen Leben und zuhause sehr geholfen.

So hat meine damalige Radfernreise letztlich in gewisser Weise mein ganzes Leben beeinflusst. Ohne sie wäre ich später vielleicht nicht (aber wer weiß das schon!?) zu anderen Ländern und Kulturen aufgebrochen.

Und damit will ich den Bogen zu heute schlagen.

Obwohl die Welt durch die technischen Möglichkeiten heute kleiner geworden zu sein scheint, obwohl viele der kulturellen Orte heute der „Tourismus-Industrie“ zum Opfer fallen (wie ich kürzlich in Nord-Indien erleben musste), obwohl es mancherlei Vorbehalte gäbe, heutzutage weit zu reisen – ich kann vor allem jungen Leuten nur empfehlen: Fahrt hinaus in die Welt, schaut sie euch an, die Schönheiten dieser Erde, knüpft Kontakte mit Einheimischen, um sie zu verstehen – aber vergesst auch die Probleme nicht. Und vor allem: probiert euch selbst aus, eure Möglichkeiten und Grenzen, eure Erfahrungen, wenn ihr unterwegs seid.

Es kann, aber muss ja nicht unbedingt ein Fahrrad sein (das auch mir heute noch viel Freude bringt).

Aber wenn, dann hier ein Ratschlag, der dem Weltumradler Heinz Helfgen schon damals mitgegeben wurde (und der für alle Radler, Radwanderer und Radfernreisende gleichermaßen gilt):

Vergesst die Luftpumpe nicht! Die für die Reifen und die körpereigene. Denn eine gute Kondition und Lunge sowie Ausdauer braucht man dafür schon.

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                                           Uwe Lanquillon

Streckenverlauf:

Europa: Wien – Zagreb – Sofia – Plovdiv – Türkei: Erdirne – Istanbul – Sivas – Erzurum – Iran: Teheran – Ghom – Isafahan – Kerman – Pakistan: Quetta – Jacobabad – Karachi.

Hamburg, 28. April 2014