Hamburger Radsportgeschichte: Die Grindelbergbahn 1885-1906

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Anzeige des Rennvereins Hamburg-Altonaer Radfahrer von 1890

Von Oliver Leibbrand

Sehr hartnäckig hält sich das Gerücht, dass die Wiege des frühen Bahnradsports in Berlin, Köln oder München steht. Doch auch in Hamburg entstand in den 1890er Jahren eine für die damaligen Verhältnisse glamouröse Radsportszene. Radsport und insbesondere der Bahnradsport avancierte zum Sport Nummer eins. Täglich berichteten die Zeitungen über Großveranstaltungen, die draufgängerischen Bahnradfahrer, neueste Enwicklungen, Rennergebnisse und Hintergründe, vergleichbar mit der heutigen Berichterstattung rund um die Frankreich-Rundfahrt.

Maßgeblichen Einfluss auf die rasante Entwicklung des Bahnradsports hatten die Radsportvereine. In Hamburg wurde der Rennverein Hamburg-Altonaer Radfahrer gegründet und der Bau einer Radrennbahn sowie die Ausrichtung von Radrennen beschlossen. Es beteiligten sich der Altonaer Bicycle-Club von 1869/80 (ABC), der Hamburger Bicycle-Club (1882) und der Cyclisten-Club Hammonia von 1883. Am 26. Juli 1885 wurde die Grindelberg-Radrennbahn auf der Schlankreye, nach knapp viermonatiger Bauzeit, eröffnet. Die Anlage lag zwischen Grindelberg und Schlankreye, damals noch eine größere städtische Wiesen- und Weidefläche.

Auf 1.000 Sitz- sowie 20.000 Stehplätzen konnten die Zuschauer die spannenden und spektakulären Rennen auf der 500 m langen Zementbahn verfolgen. Es gab eine überdachte Tribüne und nach dem Vorbild der Pferdesportveranstaltungen wurden Frühjahrs-, Sommer- und Herbsttreffen abgehalten. Neben Regatten und Pferderennen wurden die Wettkämpfe auf der Radrennbahn zu traditionellen sportlichen Großereignissen in Hamburg.

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Post- bzw. Grußkarte von der Grindelbergbahn 1904

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Lage der Grindelbergbahn um 1895

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Vor dem Start des Vier-Tagerennens auf der Grindelbergbahn am 2. September 1899

Auf Hoch- und Dreirädern starteten die Fahrer 1889 im Rahmen des VI. Bundestag des Deutschen Radfahrerbundes (DRB). Die Begeisterung und die Anziehungskraft der Rennen war enorm. Das Hamburger Fremdenblatt berichtete von einer „wahren Völkerwanderung“ zum Rennplatz und „kollosalen Besuch“ aller „Schichten der Bevölkerung“, die sich für die Rennen begeisterten. (Zweite Beilage des Hamburger Fremdenblatt, Nr. 193, 19.08.1889) Noch schneller und spektakulärer wurden die Rennen auf Niederrädern und hinter Schrittmachermaschinen. Ein Teil der Zuschauerplätze wurde 1890 durch ein Feuer vernichtet. Doch das beeinträchtigte die lukrativen Veranstaltungen in den folgenden Jahren nicht. Der Sport auf der Bahn boomte, war Zuschauermagnet und eignete sich hervorrragend zur Vermarktung. Konkurrierende Radrennbahnen entstanden 1892 in Hamburg/Eilbeck und vor den Toren Hamburgs, 1894, in Bergedorf.1

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Anzeige des Sportvereins zu Hamburg 1896

Diese von kommerziellen Interessen geleitete Entwicklung widersprach dem Grundsatz des Rennvereins Hamburg-Altonaer Radfahrer. Denn als Mitglied des DRB hatte man sich seit 1884 zum Amateurprinzip, dem sogenannten „Herrenfahrertum“, bekannt, das vorsah, nicht um Geldpreise zu fahren. Der ABC trat konsequenterweise schon im September 1893, wegen „Spannungen mit den Hamburgern“, aus dem Rennverein Hamburg-Altonaer Radfahrer aus. (Protokoll Generalversammlung des Altonaer Bicycle-Club von 1869/80, 21. September 1893) Zum Eklat kam es auch, weil der ABC eine geplante Kurvenerhöhung, eine Maßnahme die weit verbreitet war um die Rennen auch auf der Grindelbergbahn noch schneller, gefährlicher und spektakulärer zu gestalten, ablehnte. Schwere, manchmal sogar tödliche Unfälle, ereigneten sich auf den Radrennbahnen des Deutschen Reiches. Diese Gesundheitsgefahren und die profitorientierte Vermarktung lehnten die ABCer ab. Akzente wurden zukünftig hauptsächlich in den Disziplinen Wander- und Kunstradfahren sowie Radball gesetzt.2

1897 erfolgte ein weiterer Umbau der Grindelbergbahn bei dem die Kurven aus Holz hergestellt wurden. Im gleichen Jahr siegte Willy Arend beim ersten „Großen Preis von Hamburg“. Um die Jahrunderwende kamen dann die Rennen hinter Motorschrittmachern in Mode. Bei den Frühjahresrennen 1900 wurden neben Niederradrennen mit und ohne Vorgabe, Motordreiradrennen und ein 50 Kilometer-Dauerfahren, das hieß 100 Runden mit Motorführung, auf der Grindelbergbahn ausgefahren. Auf die rückläufige Begeisterung reagierte der Betreiber, seit 1904 der private Unternehmer Martin Meyer mit seiner Sportplatz Grindelberg GmbH, und bot zukünftig werbewirksame Fahrradverlosungen, Indianershows und Ballon-Fahrten an. Darüber hinaus wurde im Innenraum Fußball und Tennis gespielt und im Winter Eislaufen angeboten. Doch auch diese Ausweitung konnte den Konkurs der Sportplatz Grindelberg GmbH nicht verhindern.

Neben anderen Sportarten, in erster Linie die „Fußlümmelei“ oder die aus den Vereinigten Staaten importierten Sechstagerennen, wuchs bei vielen Radsportlern und Radsportbegeisterten die Faszination für Straßen- und Distanzrennen. Nachdem sich seit der Jahrhundertwende das Fahrrad immer mehr als Massenverkehrmittel durchsetzte und sich alle eines leisten konnten, ging auch ein Stück der Anziehungskraft des Radsports verloren. Stark mit dem Radsport verknüpfte gewerbliche Interessen und ein grundlegend anderes Sportverständnis, führten vor allem in der Arbeiterschaft dazu, sich von den industriegesellschaftlichen Vorstellungen von Leistung, Spannung und Geschwindigkeit, wie sie der Radrennsport verkörperte, zu distanzieren. Zulauf bekamen vor allem die Arbeiterradfahrer-Vereine, die sich der Radtouristik und dem Saalsport (Reigen- Kunstradfahren und Radball) verschrieben. Die Mitgliederzahlen stiegen rasant an und überflügelten bald die bürgerlichen Vereine.

Die Grindelbergbahn wurde 1905 geschlossen und aufgrund der Erweiterung des Wohngebietes und der Anlage der Straße Kaiser-Friedrich-Ufer 1906 abgerissen. Schon seit 1899 konkurrierte die Grindelbergbahn mit dem Velodrom am Rothenbaum, der größten Sport- und Ausstellungshalle im damaligen Deutschen Reich. Auf einem Gelände von 30.000 m² gab es hier eine 13.000 m² große Winterhalle mit einer 333 Meter langen Zementrennbahn, Radfahrübungsbahnen, einen Reigensaal, einen Fahrradverleih, Reparaturwerkstätten und einen gastronomischen Betrieb, was kaum Wünsche offen ließ. Doch der exklusive Rahmen, hohe Eintrittpreise und sogar ein generelles Verbot an sozialdemokratische Vereine, z.B. Radsportvereine der Arbeitersportbewegung, zu vermieten, unterstichen den elitären Charakter des Velodroms und seiner Betreiber. Trotz Springreiten, Leichtathletik und Automobilshows, war auch das Velodrom nicht rentabel. Aufgrund der geringen Besucherzahlen und anderweitiger Baupläne wurde der Pachtvertrag von der Stadt Hamburg nur bis 1910 verlängert. 1912 wurde auch das Velodrom, auf dessen Geschichte wir hier demnächst noch einmal gesondert eingehen, abgerissen.

Bargum/ NF, den 19. Juli 2014

1Die Eilbecker Bahn stand an der Friedrichsbergerstraße Ecke Eilbecker Weg. Sie hatte eine 400m lange Holzbahn und bot ca. 20.000 Zuschauern Platz. Über die Bergedorfer Bahn ist bekannt, dass sie eine 166m lange Holzbahn hatte.

2Der ABC unterstrich sein Engagement für den „Gentlemen-Sport“ noch, als 1895 im DRB die Trennung von Profi- und Herrenfahrern eingeführt wurde und er daraufhin vorrübergehend auch aus dem DRB austrat.