Das Buch der Radsporttrikots

Andreas Beune/Rainer Sprehe, Das Buch der Radsporttrikots, Bielefeld: Covadonga Verlag, 2014, 221 S., 24,90 EUR.

Von Lars Amenda und Lars Bärer

Radsporttrikots sind ohne Frage eine recht spezielle Bekleidung. Dem Sport eher abgeneigte Personen lästern in aller Regelmäßigkeit über die hautengen Leibchen von radelnden Jedermännern, die im Vergleich zu ihren professionellen Vorbildern bisweilen einen deutlich höheren Body Mass Index aufweisen. Radsportfans hingegen vergöttern die nicht selten quietschbunten Trikots ihrer Idole und bevorzugten Radsport-Teams, erinnern diese sie doch an vergangene Erfolge, bewegende Tragödien und unterhaltsame Anekdoten. Deshalb überrascht es eigentlich, dass bisher kein Buch über Radsporttrikots in deutscher Sprache publiziert worden ist (im Gegensatz zu klassischen Radsportländern wie Belgien und den Niederlanden).

Andreas Beune und Rainer Sprehe füllen diese Lücke nun mit dem kürzlich im Covadonga Verlag erschienen, vorliegenden Buch, das knapp 200 Exemplare dieses besonderen Kleidungsstückes – „das stets gleichzeitig Funktionswäsche und Proviantbeutel, mobile Litfasssäule und Erkennungszeichen von Freund und Feind zu sein hatte“ (S. 9) – in Farbe reproduziert und die jeweilige Geschichte dazu erzählt. Um es vorwegzunehmen: Die beiden Autoren haben ein sehr informatives und unterhaltsames Buch verfasst, das dem eigenen Anspruch einer Zeitreise gerecht wird und über den „Umweg“ von Radsporttrikots über die Geschichte und Gegenwart des Radsports informiert.

Die Auswahl der Trikots richtet sich nach verschiedenen Kriterien. Es handelt sich ausnahmslos um Trikots von mehr oder minder namhaften Radrennfahrern, einigen Exemplaren sind die Spuren des Wettkampfes deutlich anzusehen, andere sind mit Unterschriften der Fahrer, dieser Trophäe des Sammlers geschmückt. Viele Trikots stehen repräsentativ für eine zeittypische Entwicklung, sei es in Bezug auf den Schnitt und den Stoff, das Design oder die jeweiligen Werbeschriftzüge. 

Am Anfang erinnert die Einleitung („Mehr als ein Stück Stoff“) an die Eigenheiten und Anforderungen des Radtrikots. Der enge Schnitt, die Taschen (die um 1900 vorne lagen und dann nach dem Zweiten Weltkrieg nach hinten wanderten) und die bereits vor dem Ersten Weltkrieg einsetzende Werbung auf den Trikots (vor allem für Fahrrad- und Reifenhersteller) machten die Leibchen zu Sportkleidung, Symbolen und Marketinginstrumenten in einem. Die im Folgenden chronologisch sortierten Trikots veranschaulichen sehr eindrucksvoll die Entwicklung und Kommerzialisierung des Radsports im 20. Jahrhundert. Löblicherweise finden sich auch frühe Trikots – wie das von Thaddäus Robl 1908 errungene schwarz-weiß-rote, mit Reichsdadler versehene Trikot des Deutschen Meisters im Steherrennen der Profis (S. 36). Für unseren Geschmack hätten es durchaus noch mehr frühe Exemplare sein können, aber das mag an persönlichen Vorlieben liegen. Die überwiegende Mehrzahl stammt aus der Nachkriegszeit, wie die beiden ikonischen Trikots von Fausto Coppi (Bianchi) und Gino Bartali (Bartali – Usus). Doch nicht nur namhafte Fahrer finden sich, auch vergleichsweise unbekannte Radsportler sind mit ihren Trikots vertreten, weshalb selbst profunde Kenner der Radsportgeschichte einige neue Erkenntnisse gewinnen dürften. Dies geschieht allerdings zum Preis, dass das Buch einige bekannte Radrennfahrer auslassen muss. Bei „den ganz Großen“ wünschte man sich manchmal auch, die verschiedenen, im Text zumeist erwähnten abwechselnden Trikots im Laufe der Zeit nebeneinander auf einen Blick sehen zu können, doch einen Vollständigkeitsanspruch kann und will das Buch gar nicht einlösen. Die Größe der abgedruckten Trikots variiert, einige der sehr klein wiedergegebenen Stücke hätten durch mehr Platz einnehmen können, wie wir finden.

Bestimmte Trikots ragen aus der Zusammenstellung geradezu heraus. Das trifft auf das bekannte schwarz-weiße Peugeot-Trikot zu, das mehrfach abgebildet ist (u.a. eines von Tom Simpson aus dem Jahr 1967, S. 86). Sein markantes Schachbrettmuster hatte es der Übertragung im Schwarzweiß-Fernsehen zu verdanken, da es dort besonders leicht erkennbar war. Auch das Molteni-Trikot von Eddy Merckx aus dem Jahr 1972 ist wegen der großen Erfolge seines Trägers besonderts populär (S. 106). Einen hohen Stellenwert nimmt selbstverständlich das Gelbe Trikot der Tour de France ein, das in diversen Ausgaben aus unterschiedlichen Zeiten abgebildet ist (u.a. eins von Dietrich Thurau, 1977, und Jan Ullrich, 1997). Der erste Radrennfahrer bei der Tour de France im Gelben Trikot war vermutlich Eugène Christophe am 18. Juli 1899 (S. 60). Danach entwickelte es sich einem der „bekanntesten und prestigeträchtigsten Symbole im modernen Leistungssport“ (S. 58), wie Beune und Sprehe zu Recht anmerken.  

Die Chronologie der Trikots dokumentiert, wie die Werbung immer mehr Raum einnahm, bis sie in den 1990er Jahren dann flächendeckend und mit der Abbildung der jeweiligen Produkte der Teamsponsoren beim besten Willen nicht mehr übersehen werden konnte (wie das extrovertierte Mapei-Clas-Trikot mit seinen bunten Würfeln aus dem Jahr 1994, S. 180). Im krassen Kontrast stehen dazu die schlichten Landesmeistertrikots, die ebenfalls reichlich vertreten sind. 

Zusammengefasst lässt sich festhalten, dass das Buch der Radsporttrikots sehr gelungen ist und die Geschichte des Radsports über die manchmal mehr, manchmal weniger schönen Trikots erzählt. Trotz der fundierten Recherche ist es kein wissenschaftliches Buch geworden, was den Leserkreis verbreitern dürfte. Gelegentlich finden sich zwar einige inhaltliche Wiederholungen und Überschneidungen, was an der Struktur des Buches liegt, das jeweilige Trikot in den Mittelpunkt zu stellen und die Geschichte und Geschichten „drumherum“, die Biographien der Fahrer und der Teams, zu platzieren. Das Buch dürfte bei Radsportsfans und an der Geschichte des Radsports Interessierten jedenfalls großen Anklang finden; zum einen, weil die Trikot mittels der knappen Erläuterungen „zum sprechen“ gebracht werden; zum anderen, weil man es immer wieder in die Hand nehmen möchte, um darin zu blättern und zu schmökern und auf eine radsportliche Zeitreise gehen kann. 

Hamburg, den 12. August 2014