Innenansichten des Vereins – der ABC-Jahresbericht 1892

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Von Lars Amenda

Vereine müssen regelmäßig Versammlungen abhalten, Protokolle darüber verfassen, Berichte schreiben und turnusmäßig schriftlich Rechenschaft ablegen. So lästig dies für die Verantwortlichen bisweilen sein mag, so wertvoll sind solche Dokumente in der Zukunft doch als historische Zeugnisse, insbesondere dann, wenn keine Beteiligten mehr befragt werden können. Eine solche, wertvolle Quelle stellt der Jahresbericht des ABC für das Jahr 1892 dar (das Jahr reicht in diesem Fall vom 1. Oktober 1891 bis zum 30. September 1892).

Viele aufschlussreiche Details lassen sich dem Jahresbericht entnehmen. Der ABC befand sich in einer Blütezeit, das dokumentiert auch die steigende Mitgliederzahl von 73 auf 88 männliche Personen. Das „Mitglieder-Verzeichnis“ (S. 15f) enthält neben den Namen und dem Wohnort auch den „Stand“, den Beruf, und die Auflistung unterstreicht die bürgerliche Ausrichtung des Vereins. Viele Mitglieder sind Kaufleute, auch Weinhändler, „Conditoren“ und Braumeister finden sich: Mit C. Raabe ist auch ein „Reisender“ verzeichnet – ob er seine Reisen auf dem Rade unternommen hat, ist leider nicht bekannt.

Im erwähnten Zeitraum wurden insgesamt drei Generalversammlungen abgehalten, die jeweils rund 20 Mitglieder aufsuchten. Am 28. Oktober 1891 beschloss der ABC beispielsweise, „12 Saalmaschinen anzuschaffen“. Auch in modischen Dingen gab es Diskussionen und eine Einigung: „Der Club-Anzug wird wie folgt bestimmt. Jacket einreihig, Farbe des Anzug dunkelblau.“ (S. 2) Zudem fanden wöchentlich „Club-Abende“ statt, die „durchgehend gut besucht“ waren. (S. 3)

Aufs Fahrrad schwangen sich die Mitglieder selbstverständlich auch. 27 „Saal-Fahrabende“ wurde abgehalten, die meisten im „Englischen Garten“ in der Großen Freiheit und einige wenige bei „Sagebiel“ in Blankenese. Der ABC veranstaltete zudem 19 „Sommerfahrten“, beispielsweise nach Buxtehude, nach Lübeck, eine „Nachtfahrt nach Bramstedt“ (27./28. August), eine „Bummeltour“ nach Wedel (12. Juni), nach Glückstadt usw. Die Teilnehmerzahlen lagen bisweilen um die 20, zumeist aber unter zehn Personen. Ingesamt enttäuschten die Zahlen den ABC-Vorstand: „Die Beteiligung an den Clubfahrten ist angesichts der grossen Mitgliederzahl eine sehr schwache gewesen.“ (S. 8)

Feierlichkeiten und Feste bildeten 1892 einen Schwerpunkt der Vereinsaktivitäten. So feierten die ABC-Mitglieder am 3. Januar 1892 nachträglich Weihnachten; am 21. Januar 1892 wurde ein Gala-Radfahrfest“ zugunsten der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger veranstaltet; am 3. März folgte ein „Grosses Gala-Radfahrfest“ im Englischen Garten; am 4. April wurde es mit dem „Grossen Concurrenz-Saalfest“ wieder sportlicher. Bei den Festen wurden auch einige alkoholische Getränke konsumiert, wie dem Bericht zu entnehmen ist: Nach dem Fest am 21. Januar ereignete sich beispielsweise Folgendes: „Das hierauf folgende Kränzchen verlief sehr heiter. Mit einer gemütlichen Breakfahrt, morgens 3 ½ Uhr, nach Altona (bei 15° Kälte) endete das Fest. Einer ging leider im Schnee verloren.“ (S. 5)

Neben diesen Anekdoten findet sich auch die „große Geschichte“ im Jahresbericht wieder. Am Himmelfahrtstag, am 26. Mai 1892, veranstaltete der Deutsche Radfahrer-Bund unter maßgeblicher Beteiligung und Initiative des ABC eine „Huldigungsfahrt“ zu Fürst Bismarck im Sachsenwald. Rund 1200 Radfahrer ehrten damit den Politiker, der maßgeblichen Anteil an der Gründung des Deutschen Reiches 1871 hatte. „Der A. B.-C. v. 69/80 hatte als ältester Verein die Ehre, inmitten der Huldigungsgruppe ein Ehrenspalier zu bilden. Zu diesem Zweck entsandte man sämtliche Saalmaschinen, sowie Banner und Schärpen nach Friedrichsruh.“ (S. 6) Über die „Huldigungsfahrt“ werden wir beizeiten an dieser Stelle noch einmal ausführlich berichten.

1892 ereignete sich in Hamburg mit der verheerenden Choleraepidemie seit dem späten August eine städtische Katastrophe, die ebenfalls einen Widerhall findet. „Wegen der herrschenden Cholera-Epidemie wurden keine weiteren Clubfahrten angesetzt.“ (S. 8) Annähernd 10.000 Menschen starben aufgrund der Cholera; wer es einrichten und es sich leisten konnte, verließ fluchtartig Hamburg. In Altona breitete sich die Epidemie übrigens kaum aus, da hier bereits moderne Wasserfilter-Anlagen vorhanden waren.

Zahlreiche weitere Details können dem Jahresbericht entnommen werden. Neben den Finanzen, die wir hier einmal übergehen, ist das „Inventar-Verzeichnis“ aufschlussreich (S: 14). Der ABC verfügte über „2 gr. Clubbilder, 1 Gruppenbild“ und „2 Vorstandsbilder“. Im Clublokal „Hotel zu Sonne“ befanden sich ein „Banner mit Futteral“, 18 Schärpen und einige Publikationen wie drei Ausgaben der Zeitschrift „Das Stahlrad“ und das „Handbuch des Bicycle-Sport“. Auch die „Stiftungen“ seien abschließend noch kurz erwähnt. Gregers Nissen vermachte dem ABC „15 von demselben komponierte und dem A. B.-C. v. 69/80 gewidmete Tourenmärsche“, der bekannte US-amerikanische Kunstradfahrer Nick Kaufmann (1861-1943), „Kunstmeisterfahrer der Welt“, schenkte dem Club „sein Portrait“. (S. 9)

Der Jahresbericht 1892 verdeutlicht damit, zusammengefasst, die fahrradhistorische Bedeutung des ABC, gibt aber auch wertvolle Einblicke in das „gesellige“ Vereinsleben, das wesentlich zur Attraktivität des Clubs zu jener Zeit beitrug.

Jahresbericht des Altonaer Bicycle-Clubs von 1869/80. Aeltester Bicycle-Club der Welt. Vom 1. Oktbr. 1891 bis 20. Septbr. 1892, Altona: ABC, 1892 (Internationales Radsportarchiv Bad Münstereifel)

Hamburg, den 18. September 2014