Pässerunde Col d’Allos – Col de la Cayolle – Col des Champs (118 km – 3.100 hm)

Ausgangsort der Tour anlässlich meines Sommeraufenthaltes in den französischen Alpen war das kleine Festungsstädtchen Colmars (nicht zu verwechseln mit dem pittoresken Touri-Örtchen Colmar in den Vogesen).

In der Nacht zuvor hatte es geregnet und am frühen Morgen hingen Wolkenfetzen noch tief über dem Kopf des arglosen aber wagemutigen Velozipeden-Reiters. Der Wetterbericht versprach für diesen Tag eine Regenpause und so wagte ich mich gegen 10 Uhr morgens auf die Runde. Über die beiden Pässe Allos und Cayolle hatte ich bereits einiges in Erfahrung bringen können und die Steigungsprozente erschienen im Vergleich zu den sonst üblichen Schwierigkeiten beim Erklimmen von 2.000ern recht moderat. Den Col des Champs hatte ich bei meinen Betrachtungen allerdings nur als notwendiges Übel auf dem Weg zurück zum Startort betrachtet und ihm wegen seiner eher geringen Höhe von 2.080 Metern im Vergleich zum Allos (2.250 m) und zum Cayolle (2.326 m) keine größere Bedeutung beigemessen. Da tat ich ihm Unrecht, wie sich noch herausstellen sollte…

Los ging es mit der Fahrt durch das Örtchen Colmars mit seinem schönen historischen Stadtkern, welcher in ebenso alten Festungsmauern eingepfercht liegt. Auf der Fahrt aus dem Ort heraus Richtung Col d‘Allos passierte ich bereits ein Schild mit der Aufschrift Col des Champs, welches auf eine Straße zu meiner Rechten hinwies, welche man eher als eine zugewucherte Zufahrt zu einem verlassenen Gehöft hätte halten können. Das hätte mir vielleicht zu denken geben sollen…

Nun ja, es ging erst einmal recht gemütlich bei sehr moderaten Steigungsprozenten in den Anstieg hinein. Auf der linken Seite der Straße strömte mit einiger Macht der an diesem Berg entspringende Verdon, der in seinem weiteren Verlauf gestaut wird und sein klares Wasser späterhin gegen ein tiefes Türkis am Lac de St. Croix am Ausgang der Gorges du Verdon eintauscht. So rollte ich für ca. 10 km auf breiter 2spuriger Straße bis ich mit der Durchfahrt des Ortes Allos eher widerwillig die Kette weiter nach links wandern ließ, da die Steigungsprozente nun deutlich zunahmen. Der bis hierher noch recht regelmäßige KFZ-Verkehr nahm dafür deutlich ab. Die Straße verengte sich zu einem schmalen Asphaltband und ich kletterte in einer engen Folge von Serpentinen, nun recht schnell an Höhe gewinnend, dem Pass entgegen. Alles in allem war dieser Pass von Colmars kommend recht unspektakulär und selbst das Passschild war eher lieblos angebracht.

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Noch liebloser war allerdings der Zustand der Straße, über die ich mich nun nach Barcelonette begeben musste. Es rumpelte doch ziemlich über den Flickenteppich auf der Abfahrt und ich war gezwungen, der Hangabtriebskraft recht stark Einhalt zu gebieten, da ich immer wieder von der Ideallinie abweichen musste, um nicht allzu stark durchgerüttelt zu werden. Hinzu kam die auch auf dieser Seite sehr schmale Straße, die zum Teil ohne Seitenbegrenzung den Blick in eine tiefe Schlucht eröffnete. Unter diesen Bedingungen siegte dann doch der Überlebenstrieb und die Hände blieben immer in bremsbereiter Position. Nach etwa 12 KM Abfahrt besserte sich der Straßenzustand allerdings und ich konnte es dann doch mal laufen lassen. Im weiteren Verlauf erreichte ich problemlos Barcelonette bzw. den vor dem Ort befindlichen Abzweig zum Col de la Cayolle. Dort machte ich kurz Halt und entledige mich der für die Abfahrt angezogenen Windjacke und füllte meine Trinkflaschen an einem Brunnen kurz nach dem Abzweig. Dort stand zwar „Eau non contrôlée“ zu lesen, aber ich hoffte mal das Beste…

Der Col de la Cayolle war landschaftlich um einiges reizvoller als der Col d’Allos. Gleich am Fuße des Anstieges durchfuhr ich eine enge Schlucht, die der Fluss Bachelard gegraben hat und im Anstieg sah man immer wieder, wie sich dieser von links oder rechts kommenden Wasserfällen und Bächlein speiste. Sehr schön und abwechslungsreich, so dass man die zurückgelegten Kilometer kaum bemerkte. Ehe ich mich versah, hatte ich nach diversen Flachstücken, bei denen man das Tempo anziehen konnte, auch schon mehr als 20 Kilometer zurückgelegt. Die letzten 10 km fanden dann in einer großzügiger werdenden Almumgebung statt, welche von kleinen Wasserläufen durchzogen war.

Während dieses Anstieges hatte ich meinen ersten Energieriegel gegessen, der in meiner Trikottasche verstaut war und in der Annahme, dass noch weitere davon in meiner Satteltasche schlummern, hatte ich mich in Barcelonette bis auf das Füllen der Trinkflaschen nicht weiter verpflegt.

Auf dem Gipfel traf ich zwei rennradelnde Münchener, mit denen ich kurz ins Gespräch kam. Sie erzählten mir, dass sie die von mir angestrebte Runde auch in den nächsten Tagen in Angriff nehmen wollten, allerdings in entgegen gesetzter Richtung, da der Straßenbelag in den Abfahrten somit in besserem Zustand sei. Insbesondere sei aus diesem Grunde von der Abfahrt vom Col des Champs in Richtung Colmars abzuraten. Kurz hielt ich inne. Sollte ich hier tatsächlich umkehren und den Weg zurück über Barcelonette und den Col d’Allos antreten? Die Aussicht, den bereits zurückgelegten Weg komplett zurück zu fahren, fand ich wenig reizvoll. Also entschloss ich mich zur Weiterfahrt…

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Die Abfahrt vom Col de la Cayolle war sehr gut zu fahren. Der Belag war in einem guten Zustand und die Straße 2spurig ausgebaut. So ließ ich es laufen und zirkelte mit Schwung durch die Kurven. Nach einer lang gezogenen Rechtskurve blieb mir dann allerdings fast das Herz stehen. Auf meiner, dem Abgrund zugewandten, Seite fuhr ein Auto vielleicht 20 Meter vor mir im Rollatortempo von einer Parkbucht in Richtung Gegenfahrbahn und blockierte meine Fahrspur.

Nach rechts auf die Parkbucht ausweichen war zu gefährlich, da dahinter der Abgrund schlummerte und ich zu schnell war, um auf dem Schotter zum stehen zu kommen. Also zog ich nach links Richtung Gegenfahrbahn bzw. Felswand und bremste mit allem was ich hatte. Das Hinterrad brach erst zur rechten, dann zur linken Seite aus. Der Autofahrer hielt auf halben Wege mitten auf der Fahrbahn an, so dass es mir gelang zwischen Felswand und Auto hindurchzuschlüpfen und 15 Meter später zum vollständigen Halt zu kommen. Kopfschüttelnd machte ich dem Touristen aus einem westlichen Nachbarland mit viel Käse und Orangen auf seine lebensgefährliche Schlafmützigkeit aufmerksam. Dieser war nun scheinbar etwas geschockt, zumindest jedoch vermutlich genauso bleich wie ich und ich bedeutete ihm, zügig weiter zu fahren, denn falls ein weiterer Verkehrsteilnehmer um die Kurve gekommen wäre, hätte es mit Sicherheit böse Folgen gehabt!

Ein mir entgegen kommender Rennradler hatte die Szenerie von einer gut einsehbaren Stelle weiter unten verfolgt und beglückwünschte mich bei seiner Vorbeifahrt für mein Glück und meine Steuerkünste. Auch ich freute mich, dass ich meine Fahrt noch in einem Stück fortsetzen konnte! Nachdem ich zweimal ordentlich durchgeatmet hatte, setzte ich meine Fahrt fort. Weiter unten fing es dann zu allem Überfluss an zu regnen.

 Unten im Ort Saint-Martin-d'Entraunes angekommen, wollte ich mich erst einmal stärken, konnte allerdings weder etwas Essbares in meiner Satteltasche noch in dem kleinen Dörfchen entdecken. War ja klar! Langsam wuchs in mir die Erkenntnis, dass diese Tour wohl unter keinem guten Stern stand. Nach dem Beinahe – Unfall, dem einsetzenden Regen und dazu dann auch noch die Aussicht auf einen drohenden Hungerast fehlte nun nicht mehr so wahnsinnig viel zum Glück.

Neben dem Wegweiser zum Col des Champs stand im Ort jedoch immerhin auch ein Schild, dass auf eine Herberge auf dem Weg zum Gipfel hinwies. Ich schöpfte neuen Mut und dachte mir, dass ich die letzten 13 KM bis zum Gipfel schon irgendwie schaffen würde und unterwegs bestand ja nun noch eine Einkehrmöglichkeit (sofern geöffnet). Der Rest wäre ja nur noch Abfahrt und so schlimm würde die schon nicht werden…

Der Himmel sah mittlerweile recht bedrohlich aus und vereinzelt zuckten Blitze am Horizont. Der Regen hörte nach 2 km im Anstieg auf. Dafür wehte ein böiger Wind, der beständig an Kraft zulegte und deutlich dunklere Wolken mit sich führte, als die, aus denen der bisherige Niederschlag stammte. Mir war klar, dass ich mich nun wohl besser nicht im Schongang fortbewegen sollte, wenn ich nicht in ein Unwetter kommen wollte.

Der Anstieg zum Col des Champs war deutlich anspruchsvoller als die vorherigen beiden, denn es ging beständig bei Steigungsprozenten zwischen 8 – 10 % nach oben. Nur vereinzelt gab es flachere Passagen, in denen man das Tempo anziehen konnte. Ich spürte mittlerweile richtigen Hunger, aber zum Glück hatte sich das auf meine körperliche Leistungsfähigkeit noch nicht wirklich ausgewirkt. Ich hatte noch eine Trinkflasche mit Wasser und eine mit etwa 0,3 Liter Eistee, aus der ich mir etwa alle 2 KM einen Schluck gönnte. Ich hoffte, dass ich so meinen Zuckerhaushalt einigermaßen im Lot würde halten könnte.

Ob des sich wandelnden Wetters mit mittlerweile recht kräftigen Windböen und der mit zunehmender Höhe deutlich sinkenden Temperaturen wurde mir langsam frisch und ich zog mir während der Fahrt Armlinge und Windjacke an, die ich in der Trikottasche mitgeführt hatte.

Als es gerade richtig ungemütlich wurde, kam die im Talort ausgeschilderte Herberge in Sicht. Sie schien geöffnet zu haben! Meine Laune stieg sofort und ich fasste frischen Mut.

Ich stellte mein Rad vor dem Zaun ab und eilte die Stufen zum Lokal empor. Auf der Terrasse vor der Herberge war niemand zu sehen, aber zum Glück ließ sich die Glastür zum Gastraum öffnen. Ich hörte Stimmen aus der Küche und machte mich bemerkbar. Ich fragte den hervor tretenden Wirt nach essbarem und er wies mit dem Finger auf eine kleine Snackbar, in der sich in großer Auswahl sowohl Mars als auch Twix-Riegel befanden. Für den konkurrenzlos teuren Preis von 4 € gönnte ich mir die komplette Speisekarte und kaufte mir jeweils einen Riegel jeder Sorte. So trat ich dann wieder vor die Tür und wollte die Riegel auf dem Rad verspeisen, um keine Zeit zu verlieren. Jedoch blieb mir schon der erste Bissen im Halse stecken. Der Mars schmeckte schon recht seltsam. Ein schneller Blick auf das Verfallsdatum bestätigte meine Vorahnung. So machte ich umgehend kehrt und fragte den Wirt nach frischen Exemplaren, denn auch der Twix war schon abgelaufen. Natürlich waren alle Riegel abgelaufen. Der Fülle der beiden Schoko-Kartons, dem nicht vorhanden Verkehr auf der Straße und der irgendwie nicht sonderlich gastfreundlichen Art des Wirtes nach zu urteilen, war ich wohl der einzige Kunde in der Saison gewesen.

Obwohl in der Küche irgendetwas am köcheln war, gab mir der Wirt zu verstehen, dass es hier nichts anderes zu holen gäbe. Vielleicht brutzelten er und seine Frau ja nur zum Spaß oder für eine ahnungslose Abendgesellschaft…

Also nahm ich meine 4 € wieder an mich und hatte außer einem schalen Geschmack im Mund nichts gewonnen. Ganz im Gegenteil hatte ich im Wettlauf gegen das drohende Gewitter eigentlich nur Zeit verloren. Also ging es noch etwas frustrierter wieder aufs Rad und mit einer gewissen Portion Wut im Bauch trat ich nun ohne Rücksicht auf Verluste die letzten 6 km zum Gipfel heftig in die Pedale. Tatsächlich habe ich den Anstieg dann ohne Einbruch überwunden, auch wenn die letzten beiden Kilometer sich zogen wie ein Kaugummi auf heißem Asphalt.

Hier oben war es einfach nur kalt und stürmisch und ich machte mich nach dem obligatorischen „Passfoto“ sofort daran, die Abfahrt in Angriff zu nehmen. Schon mit der ersten Querrinne wurde mir klar, dass diese Abfahrt kein Vergnügen wird.

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Ca. alle 300 Meter wurde die Straße durch quer zur Fahrbahn verlaufende Vertiefungen unterbrochen, im Prinzip das recht kantige Negativ zu den bekannten 30er-Zonen-Bumpern. Offenbar ist an diesem Berg eine Menge Wasser über die Straße abzuleiten. So konnte ich es natürlich nicht einfach rollen lassen und musste immer wieder abrupt bremsen. Nach ungefähr 3 km hatten die unsäglichen Querrinnen ein Ende. Dafür kamen dann allerdings neben einer Vielzahl unebener Teerflicken auch eine Menge Schlaglöcher hinzu, die zum Teil so groß waren, dass man einen Wurf Katzenjunges ohne weiteres darin hätte ersäufen können. So schlich ich also nun im Zickzack von Asphaltflicken zu Teerflicken und spürte schon bald, wie unangenehm es doch für die Hände, Nacken und Schultern ist, eine Abfahrt mit Dauerbremsen zu bestreiten. Hinzu kam noch, dass die Straße von dieser Seite noch einmal steiler war als von der Auffahrtseite und somit das Langsamfahren noch beschwerlicher wurde. Obwohl ich es, so gut es ging, habe laufen lassen, war ich eine gefühlte Ewigkeit unterwegs, bis ich endlich aus der eingangs erwähnten verlassenen und zugewachsenen „Hofeinfahrt“ auf die Hauptstraße in Colmars einbiegen konnte. Selten war ich so erleichtert, denn selbst eine halbe Stunde nach Ankunft am Ausgangsort kribbelten meine tauben Hände noch mehr als unangenehm von der Dauerbremserei…

Nur das abendliche Essen und einige Bierchen in einem für französische Verhältnisse wirklich ausnehmend guten Restaurantbetrieb ließen mich dann doch milde auf den zurückliegenden Radtag und nach draußen auf den kurz nach meiner Ankunft einsetzenden heftigen Dauerregen blicken…

Hamburg, den 26. August 2014 / Stefan H.