Bekloppt am Mt. Ventoux (140 km – 4.443 hm)

Nachdem der bisherige diesjährige Sommer den Alpen letztlich nicht wirklich hold war, musste der Mont Ventoux als ausgiebige Kraxelmöglichkeit herhalten. Hier in der Provence ist es immerhin um einige ° C wärmer als in den Bergen und die fast bis auf 2.000 Meter aufragende Schutthalde und deren Umgebung bietet dem Rennradler im Prinzip alles, was es für eine alpine Tour benötigt. Mehr als 1.600 hm am Stück, Schwierigkeitsstufen für jeden Geschmack und natürlich auch eine gehörige Portion Mythos.

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Der Berg ist in der Wahrnehmung der Velo-Afficionados durch die TV-Berichterstattungen von der Tour so dermaßen überhöht, dass sich die Einwohner der Orte Malaucène, Bédoin und Sault wahrscheinlich bereits alleine durch Rennrad-Touristen aus dem niederländisch sprechenden Teil Belgiens über Wasser halten könnten. Wenn man mal einen Flamen kennen lernen möchte, würde ich nicht nach Flandern sondern im Juli zum Ventoux fahren…

Nachdem ich bereits einige Tage in der Gegend verbracht hatte, sollte kurz vor Ende des Sommerurlaubes dann die erradelte Form für einen besonderen Höhepunkt genutzt werden.

Bei einem launigen Abend mit Lars A. und Lars B. hatten wir über verschiedene Rennrad-Heldentaten gesprochen und kamen auch auf den Ventoux zu sprechen. Lars B. wusste von einem Club der Bekloppten zu berichten, zu dem man sich zählen darf, wenn man den Ventoux von allen 3 mit Straßen versehenen Seiten an einem Tag erklimmt und dieses mit entsprechender Stempelkarte dokumentiert.

Zwar legte ich keinen Wert auf Mitgliedschaft in diesem elitären Verein, aber die Idee der drei Auffahrten kam mir irgendwie sinnvoll vor…

Also: gedacht – getreten!

Der erste Versuch scheiterte allerdings kläglich.

Bereits morgens wehte es unten in der Ebene sehr böig. Der Gipfel war wolkenverhangen. Eigentlich ein sicheres Zeichen dafür, dass es oben äußerst ungemütlich ist. Aber da sich der Urlaub nun mal dem Ende neigte und noch eine weitere Station angefahren werden wollte, wagte ich den Aufstieg in der Hoffnung, dass der Wind sich vielleicht noch legen könnte.

Die Wolken zogen mit gehöriger Geschwindigkeit am Himmel entlang. Die Auffahrt von Malaucène ist recht unrhythmisch und aus meiner Sicht die schwierigste, da die Steigungsspitzen etwas höher ausfallen als von Bédoin aus. Da ich ob meiner Körpergröße nicht gerade ein Bergfloh bin, zieht dann jedes weitere Prozent mehr an Steigung überproportional Körner aus dem spärlich vorhanden Vorrat. Auch bietet die Auffahrt von Malaucène aus kaum Schatten, sofern denn die Sonne scheint. Aber das Problem stellte sich an diesem Tage nicht. Bereits auf 1.000 Meter Höhe sah man Wolken auf gleicher Höhe vorbeiziehen. Diese hielten zwar noch etwas Abstand zum Berg, aber das sollte nicht mehr lange so bleiben. Der Wind drang nur vereinzelt in Böen bis zu mir vor, denn der Aufstieg liegt bis ca. 1.400 Meter Höhe recht gut geschützt im Hang. Jedoch ungefähr ab dieser Höhe nahm der Wind meine volle Aufmerksamkeit in Beschlag. Auch die Wolken waren nun bis an den Berg herangerückt und die ganze Szenerie war mit einem Milchglas-Filter versehen. Je weiter man nach oben kam, desto mehr zerrte das himmlische Kind am Lenker. Kurz unterhalb des Gipfels nahm der Wind dann Orkanstärke an. Und da es weder Bäume noch sonstige natürliche Windschilde gab, schüttelte der Wind mich wie der Barkeeper den Cocktailschwenker. Die Sichtweite betrug kaum mehr als 10 Meter. Kurz vor der Passhöhe hätte es mich dann beinahe umgehauen. Ich klickte aus und schob die letzten 200 Meter zum Gipfel-Schild. Nicht aus Erschöpfung sondern aus purer Angst, hier vom Hang gepustet zu werden. Und das wohlgemerkt nicht bei einer Highspeed-Abfahrt sondern bei ca. 10 km/h beim Aufstieg! Zu meinem Glück stand oben ein Linienbus, der zwischen den Orten Bédoin und Malaucène über den Ventoux pendelt. Der Bus war gerade zur Abfahrt bereit, aber glücklicherweise wartete der Fahrer auf mich.

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Die Sitze im Bus waren bereits gut mit Rennradlern gefüllt und auch ich hing mein Rennrad in die hinter dem Bus befindliche Aufhängung und setzte mich zu den anderen Weggefährten. Eine Abfahrt bei den Bedingungen wäre schlicht zu gefährlich gewesen. Der Bus fuhr dann auch schon bald in Richtung Bedoin hinab und auf der Fahrt zum Chalet Reynard passierten wir sicherlich noch 10 Rennradler, die noch mit der Auffahrt auf den Gipfel beschäftigt waren. Sicherlich allesamt inklusive der Businsassen Kandidaten für eine Ehrenmitgliedschaft im „Club des Cinglés du Mont-Ventoux“, wie der Club der Bekloppten offiziell auf französisch heißt.

Am Chalet Reynard machte der Bus einen Halt und viele Rennradler stiegen hier aus, denn die Wolken hingen etwas höher auf dieser Seite und der Wind konnte weiter unten auch nicht mehr so frontal angreifen wie auf der Strecke oberhalb des Chalets. Auch ich wollte zumindest von hier in den Ort Bedoin abfahren.

So richtigen Spaß machte die Abfahrt dann aber nicht, denn der Wind war immer noch präsenter als erwünscht und ob der Böen-Gefahr ließ ich es nicht wirklich laufen. Unten in Bédoin angekommen fuhr ich dann über den kleinen Col de la Madeleine zurück nach Malaucène und hoffte für die letzten Möglichkeit dieser Tour am darauf folgenden Tag auf besseres Wetter…

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Gut investiertes Geld…

Tja, und das kam dann auch tatsächlich! Also ging es mit frischem Mut um 9 Uhr morgens los. Ich hatte geplant, den Ventoux in der Reihenfolge Malaucène – Bédoin – Sault in Angriff zu nehmen. Der Hintergedanke war dabei, es mit noch frischen Beinen von der schwersten Seite anzugehen, um es dann mit zunehmender Müdigkeit etwas „einfacher“ zu haben.

Schon kurz nach Beginn der Steigung merkte ich die Temperaturunterschiede zum vorherigen Tag. Es war beträchtlich wärmer geworden und ich musste schon früh zur Trinkflasche greifen, denn der Schweiß rann mir in Strömen aus allen Poren. Der nur spärlich auf die Straße fallende Schatten wurde von mir so häufig wie möglich genutzt, um der direkten Sonneneinstrahlung zumindest manchmal entgehen zu können. Zum Glück war vom Wind auch weiter oben nur wenig zu spüren. Ganz im Gegenteil war er in Gipfelnähe sehr angenehm, da er ein wenig willkommene Kühlung mit sich führte. So war denn die erste Auffahrt nach ca. 2 h bewältigt und ich machte mich nach kurzem Aufenthalt sogleich in die Abfahrt nach Bédoin.

Die Abfahrt war auch an diesem Tage kein Vergnügen, da weit mehr Flamen als am Tage zuvor den klassischen TdF-Anstieg von Bedoin aus bewältigen wollten. Eine solche Heldentat ist für viele der Belgier eine Familienangelegenheit und nicht nur der Papi, die Mami oder der Filius fahren den Berg mit eigener Muskelkraft hinauf, sondern auch der Rest der Familie inklusive Onkel, Tante und Cousinen beobachten euphorisiert aus dem Begleitwagen die Tortur des Delinquenten. An und für sich eine schöne Sache, die den dringend nötigen Zusammenhalt in dem brüchigen Staate Belgien sicherlich zu stärken vermag (sofern die Tante denn aus der Wallonie stammt). Leider führte dieses Verhalten dann, in der auf dieser Seite fahrtechnisch teils schwierigen Abfahrt, zu häufigen und sehr unwillkommenen Engstellen. Aber an diesen Umstand gewöhnt man sich besser schnell, denn ändern wird man ihn nicht können.

Noch nicht ganz unten in Bédoin angekommen, füllte ich meine leeren Trinkflaschen an einem Brunnen wieder auf und rollte in den Ort hinein, um mir in einer Patisserie ein großes Stück Gebäck zu kaufen und im Schatten zu verspeisen. Die Pause währte ca. 20 min und ich machte mich wieder an den Aufstieg. Sofort machte sich die mittlerweile gen Zenit tendierende Sonne bemerkbar und ich hielt an, um mich meines unter dem Trikot getragenen Funktionsunterhemdes zu entledigen. Die Hitze war so stark, dass ich zusätzlich auch noch den Reissverschluss des Trikots weit öffnete, um mir irgendwie Kühlung zu verschaffen.

Nach kurzer Zeit im Anstieg schlossen 2 Franzosen zu mir auf. Wir kamen ins Gespräch und ob meiner nur rudimentären Französischkenntnisse, die sich ganz wunderbar um die nicht vorhandenen Englisch-Kenntnisse der beiden Franzosen ergänzten, dauerte es einige Zeit bis durchsickerte, dass wir alle drei das gleich Ziel für diesen Tag auserkoren hatten. Die beiden Franzosen aus Dijon waren Brüder namens Frederic und Pascal und waren ebenfalls von Malaucène aus gestartet.

Gerade als ich mich wunderte, dass beide nur mit einer 0,5 l Flasche am Rad ausgerüstet waren, bogen sie auch schon auf einen Parkplatz zur rechten ab, um sich von einem Begleitfahrzeug -  :) - verpflegen zu lassen.  Wir wünschten uns noch gegenseitig „bonne chance“ und ich setzte meine Fahrt alleine fort. Ich merkte schon recht deutlich die Anstrengungen der ersten Auffahrt und die Hitze tat ihr übriges dazu, dass in meiner Wahrnehmung die Fahrt auf einem stark haftenden, überdimensionalen Klebestreifen stattfand. Es wollte so gar nicht rollen. Mit der Vorbeifahrt am Chalet Reynard wechselte sich das Blatt allerdings. Zum einen geht es ab hier etwas flacher daher, zum anderen ändert sich die Umgebung schlagartig. War man zuvor noch in einem mehr oder weniger dicht bestandenen Korkeichenwald unterwegs, bestimmt ab dem Chalet das nackte Geröll die Szenerie. Von hier aus sind es noch 500 Höhenmeter und 7 Kilometer bis zum Gipfel, der dann auch schon bald in Sicht gerät. So nah und doch so fern, dachte ich mir. So schön es auch ist, sein Ziel fest im Blick zu haben, so doof ist es doch, das unweigerlich kommende Elend schon Kilometer im voraus genau ausmachen zu können.

Welch ein Glück also, dass ich mich dadurch ablenken konnte, dass vor mir einige Läufer den Berg hinaufliefen. Bereits vor einigen Tagen hatte ein Halbmarathon auf den Ventoux stattgefunden, an dem auch mein (natürlich flämischer Campingnachbar) teilgenommen hatte. Er erzählte mir nach dem Event, dass der Sieger nach 1:30 h oben gewesen war. Das ist für mich sogar mit dem Rennrad eine unvorstellbare Leistung! Alles unter 2 h verbuche ich für diesen Berg bereits als großen Erfolg! Und ich denke, selbst unter Läufern gibt es viele, die auf der Halbmarathondistanz bereits im flachen an einer solchen Zeit schwer zu knapsen hätten.

Diesen versprengten Läufern kam ich also nun immer näher und einen nach dem anderen überholte ich dann auch. An dem ganz vorne Laufenden allerdings schien ich mir die Zähne auszubeißen. Unwillkürlich zog ich das Tempo an, denn in mir war das Jagdfieber erwacht. Allerdings konnte ich dieses nicht lange halten, denn letztlich konnte ich hier nicht das Tempo nach freidünken bestimmen, sondern der Ventoux wies mir die angemessene Geschwindigkeit zu, mit der er mir gnädigerweise die Auffahrt erlaubte. So kam ich dem Läufer vor mir nur in Zeitlupe näher, bis ich ihn schließlich eingeholt hatte. Was dann folgte, könnte man wohl als langsamste Sprintentscheidung in der Geschichte der noch zu erfindenden Sportart Läufer gegen Radfahrer – Unterdisziplin Berg – bezeichnen. Kurz nachdem ich den Läufer überholt hatte, schloss dieser wieder zu mir auf und in den ab ca. 2 Km vor dem Gipfel wieder auftretenden Steilstücken konnte er sich wieder von mir absetzen. Ein echt starkes Stück, wie ich fand. Ich kam ihm erneut näher und holte ihn ein, aber dann kam wieder ein Steilstück, an dem mir das zusätzliche Gewicht des Rades offenbar einen Streich bei der Überwindung der Hangabtriebskraft spielte. Als ich ihm das dritte mal nahe kam, sprach ich dem Läufer meine Anerkennung für seine Leistung aus. Wir gaben uns die Hand und der Läufer nickte wohlwollend, denn Luft zum Reden hatte er keine mehr. Das hielt ihn aber nicht davon ab, in der letzten Kurve im ultrasteilen Endanstieg zum Gipfel nochmal zu beschleunigen und sich von mir abzusetzen. Tja, nur zweiter in diesem unwürdigen Kampf aber immerhin wegen dieser kurzweiligen Abwechslung auch schon zum zweiten mal oben! Wir gaben uns lachend nochmals die Hand und klopften uns gegenseitig auf die Schulter.

Ich verschnaufte kurz oben und erfreute mich an dem bisher geschafften und an der fantastischen Weitsicht an diesem Tag. Allerdings mischte sich dann auch gleich ein kleiner Wehrmutstropfen in die Freude, denn ich konnte jetzt nicht einfach zurück nach Malaucène abfahren und den Rest des Tages die Beine hochlegen, sondern wollte ja das ganz dicke Brett bohren.

Also fuhr ich erneut in Richtung Bédoin ab und nahm beim Chalet Reynard den Abzweig Richtung Sault. Diese Strecke ist weitaus flacher im Vergleich zu den ersten beiden und auch in der Abfahrt musste man zum Teil ordentlich in die Pedale treten, um die Geschwindigkeit aufrecht zu erhalten. Hier merkte ich dann schon recht deutlich die Strapazen der zurückliegenden Aufstiege. Die Beine wurden langsam fester und ich registrierte schon eine leichte Krampfneigung in den Waden wie auch in den Oberschenkeln. Nach recht zäher Fahrt erreichte ich die Ebene und musste mich noch einen Gegenanstieg hochkämpfen, um in den Ort zu gelangen. Auch hier betrat ich eine Patisserie und versorgte mich mit einem leckeren Stück Kuchen. Dazu kaufte ich eine kalte Cola, die ich zuvor für lange Jahre nicht auf meinem Getränkeplan stehen hatte. Warum eigentlich? Herrlicher, klebriger, Karies begünstigender Zucker! Was gibt es besseres, wenn man schon ziemlich angeknocked ist? Ich setze mich mit diesem ausgefeilten Menü auf eine Steinstufe und es dauerte nicht lange, bis ein wirklich großer Hund Interesse an meinem Stück Kuchen zeigte. Aber ich wäre bereit gewesen, in den Ringkampf zu gehen, wenn er es gewagt hätte, mein sauer verdientes Mahl auch nur zu beschnuppern. Ich füllte meine Trinkflaschen dann noch an einer Wasserstelle und machte mich wieder auf, den Ventoux ein drittes mal zu erklimmen.

Nachdem ich den Hang herabgerollt war und den Aufstieg begann, spürte ich sofort, dass das Unterfangen noch schwierig werden würde. Ich fühlte mich alles andere als frisch und die Aussicht, jetzt noch 27 km erst flacher, später dann ab dem Chalet Reynard steiler bergan fahren zu müssen, hebte nicht gerade meine Stimmung. Ich fuhr betont langsam, um mir die Kräfte einzuteilen und nach ca 5 km im Anstieg holten mich doch tatsächlich Frederic und Pascal wieder ein. Meine Laune stieg sofort und auch die beiden Brüder machten einen lebhaften Eindruck. Wir versicherten uns gerade unseres Zustandes und ich war guter Dinge, ein Stück des Weges gemeinsam mit ihnen zurückzulegen, da wartete dann auch schon das Begleitfahrzeug am Wegesrand auf die Brüder.

Sie fragten mich noch, ob ich noch etwas benötigen würde, aber da ich mich erst kurz zuvor neu gerüstet hatte, lehnte ich dankend ab. So wünschten wir uns dann viel Glück für das Finale und ich fuhr wieder alleine meiner Wege.

Der weiterhin flache Anstieg kam mir ob meines Zustandes natürlich entgegen, allerdings wollten die Kilometer bis zum Zusammenschluss mit der Strecke von Bédoin aus am Chalet Reynard einfach nicht vergehen. Als ich endlich am Chalet eintraf, machte ich erst mal eine Pause und vertrat mir etwas die Beine. Jetzt waren es nur noch 7 km bis zum Gipfel und ich hätte es geschafft. Aber diese 7 km würden mir jetzt noch einmal alles abverlangen.

Mittlerweile hatte der Trubel rund um den Berg doch deutlich abgenommen. Es war jetzt kurz nach 17 Uhr und die meisten Ritter hatten ihren Kampf mit diesem Berg bereits in den Morgen- und Mittagsstunden ausgefochten. Nur noch vereinzelt standen flämische Familien am Wegesrand und warteten mit dem Fotoapparat im Anschlag auf ihre Lieben. Das kam mir sehr gelegen, denn den mitleidserregenden Eindruck, den ich auf die Passanten machen musste, konnte ich wiederum direkt aus ihren Gesichtern ablesen. Dann doch lieber alleine leiden…

Mir kam das Wort Qual in den Sinn und der wunderbare Text, in dem Max Küng dieses Wort so treffend beschreibt:

„Qual: welch kurzes Wort, zu beschreiben, was das wirklich bedeutet. Lausige vier Buchstaben. Das ist doch viel zu wenig. Vor allem heute, jetzt, in diesem Moment. In diesem Moment ist es heiß. Sehr heiß. Die Sonne brennt, kein Schatten weit und breit, bloß Straße vor mir…“

Dem war von meiner Seite nichts hinzuzufügen. Außer vielleicht, dass sich die Krampfneigung meiner Beine nun vollends Bahn brach und ich nach langem Kampf 2 km vor dem Gipfel ausklicken musste, da mich ein heftiger Krampf im rechten Oberschenkel zwickte. Beim ausklicken des linken Fusses ereilte es auch das linke Bein, so dass ich mit starren Beinen über dem Lenker gebeugt die Welt verfluchte. In dieser Position verharrte ich einige Zeit bis sich die Krämpfe gelegt hatten. Ich stieg wieder auf und machte mich an das große Finale.

Die letzten beiden Kilometer ab dem Gedenkstein für Tom Simpson bis zum Gipfel sind recht steil. An einen flüssigen Tritt war leider nicht mehr zu denken. Da jetzt nur noch wenig Verkehr herrschte, nutzte ich so häufig wie möglich  die komplette Straßenbreite, um den Steigungsprozenten durch zickzack-fahren ihre Schärfe zu nehmen. So kreuzte ich sozusagen mit vollen Segeln gegen den Wind und schaffte es bis zur letzten Kurve. Im Hochgefühl, es nun tatsächlich geschafft zu haben, ging ich ein letzes mal aus dem Sattel und trat so heftig in die Pedale wie ich nur konnte. Wenigstens auf den letzen Metern bis zur Passhöhe wollte ich es dem Berg in würdiger Art und Weise zeigen, dass er mich nicht klein bekommen hat! Diese Majestätsbeleidigung strafte er dann sogleich mit dem nächsten Krampf. Aber das war nun auch alles egal, denn ich hatte es geschafft!!!

Für das obligatorische Passfoto hatte ich mein Smartphone an einen freundlichen Radler aus … na ihr wisst schon überreicht. Als ich ihm bedeutete, dass er gerne ein paar mal häufiger knipsen könne, schließlich sei ich auch ein paar mal hochgefahren, machte sich ein weiterer Radler bemerkbar, der an diesem Tage das gleiche vollbracht hatte.

Er war allerdings die Kombi Sault – Bédoin – Malaucène gefahren.

Also wurde die Tour mit zunehmendem Verlauf immer schwieriger. Ich weiß nicht, ob ich das überstanden hätte. Ich beglückwünschte ihn zu seiner Leistung. Wir unterhielten uns nur kurz, denn ich konnte es kaum erwarten, das Beste an diesem Tage in Angriff zu nehmen. Die rasante Abfahrt auf gut ausgebauter Strecke zurück nach Malaucène. Und das praktisch ohne Verkehr! Ich zog mir meine Windjacke  an und wollte mich gerade ins Abenteuer stürzen, da sah ich die beiden Brüder den Gipfel erklimmen. Ich wartete natürlich auf deren Eintreffen. Wir gratulierten uns herzlich für die vollbrachten Großtaten und tauschten noch einige Nettigkeiten aus.

Dann ging es aber los und ich konnte mich ganz dem Rausch der Geschwindigkeit hingeben. Mehrmals kratzte ich die 80 km/h Marke, reizte die Höchstgeschwindigkeit allerdings nie aus. Darauf kam es mir auch nicht an, denn oberstes Ziel war kein Geschwindigkeitsrekord sondern das Ankommen in einem Stück.

Das gelang mir dann auch ohne weiteres und nach 140 km und 4.443 Höhenmetern kann ich mich nun wahrlich bekloppt nennen!

Hamburg, den 28. August 2014 / Stefan H.